BERLINER MORGENPOST: Der Nordkorea-Poker / Leitartikel von Michael Backfisch zu Nordkorea

Kurzform: Nordkoreas Schritte sind der Beginn eines
großen Polit-Pokers. Kims strategisches Ziel scheint klar: Er will
eine Anerkennung seines Regimes – die Spitzenbegegnung mit Trump wäre
eine Art propagandistischer Ritterschlag. Welche Sicherheitsgarantien
ihm der Amerikaner geben möchte und kann, ist hingegen offen. Darüber
hinaus strebt Kim das Ende der harten internationalen Sanktionen an.
Ein höherer Lebensstandard der eigenen Bevölkerung sowie mehr
Wirtschaftswachstum durch ausländische Investitionen würden ihm einen
zusätzlichen Legitimationsschub nach innen verleihen und seine
Stellung als „Führer“ untermauern.

Der komplette Leitartikel: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un hat
sich in den vergangenen Monaten als Meister der großen Gesten
entpuppt. Seine neueste Ankündigung, Tests für Atomwaffen und
Langstreckenraketen auszusetzen, reiht sich ein in eine Kette von
Entspannungssignalen. So gibt es seit Freitag eine Telefon-Hotline
zwischen Nord- und Südkorea, die den Kriegszustand seit 1953
offiziell noch nicht beendet haben. Im März ließ Kim durchblicken,
dass er eine „Entnuklearisierung“ der koreanischen Halbinsel anpeile.
Im Februar hatten nordkoreanische Sportler an den Olympischen
Winterspielen beim südlichen Nachbarn teilgenommen. Die Botschaft:
Pjöngjang will den Status des steinzeitsozialistischen Parias der
internationalen Politik abschütteln. All dies sind mehr als
atmosphärische Aufheller. Kim ist offensichtlich daran interessiert,
die Gipfeltreffen mit dem südkoreanischen Staatschef Moon Jae-in am
kommenden Freitag und später mit US-Präsident Donald Trump zu einem
historischen Wurf zu nutzen. Nordkoreas Schritte sind jedoch nur der
Beginn eines großen Polit-Pokers. Kims strategisches Ziel scheint
klar: Er will eine Anerkennung seines Regimes – die Spitzenbegegnung
mit Trump wäre eine Art propagandistischer Ritterschlag. Welche
Sicherheitsgarantien ihm der Amerikaner geben möchte und kann, ist
hingegen offen. Darüber hinaus strebt Kim das Ende der harten
internationalen Sanktionen an. Ein höherer Lebensstandard der eigenen
Bevölkerung sowie mehr Wirtschaftswachstum durch ausländische
Investitionen würden ihm einen zusätzlichen Legitimationsschub nach
innen verleihen und seine Stellung als „Führer“ untermauern. Und
Trump? Für ihn wäre die Lösung des jahrzehntelang schwelenden
Korea-Konflikts ein Triumphzug ohnegleichen. Er könnte sich als der
große „Dealmaker“ präsentieren, dessen Marschroute des „maximalen
Drucks“ nun Gewinn abwerfe. Der Chef des Weißen Hauses, dessen Ego
keine Grenzen kennt, würde sagen: Seht her, ich habe geschafft, woran
sich meine Vorgänger die Zähne ausgebissen haben. Wenige Monate vor
den wichtigen Zwischenwahlen des US-Kongresses ein Erfolg, mit dem er
auf allen PR-Klavieren spielen würde. Doch ob Kim und Trump auf einen
Nenner kommen, ist keineswegs sicher. So hat Kim offen gelassen, ob
er sein bisher angehäuftes Atom-Arsenal verschrottet. Auch die Frage,
ob Inspektoren seine Zusagen lückenlos kontrollieren können, bleibt
einstweilen unbeantwortet. Ferner hat der Nordkoreaner nur den
Test-Stopp für Langstreckenraketen avisiert, nicht jedoch für Kurz-
und Mittelstreckenraketen. Aber auch China mischt in der
ostasiatischen Poker-Partie mit. Peking stören vor allem der
US-Raketenabwehrschirm THAAD und die Anwesenheit von knapp 30.000
amerikanischen Soldaten in Südkorea. Dass Trump hier nennenswerte
Zugeständnisse macht, darf bezweifelt werden. Immerhin begünstigt die
politische Großwetterlage eine Korea-Übereinkunft. Kim kommt zugute,
dass die Weltbühne derzeit von autokratischen Staatenlenkern
dominiert wird: Der Russe Wladimir Putin, der Chinese Xi Jinping, der
Türke Recep Tayyip Erdogan und nicht zuletzt Trump lieben das stramme
Durchregieren. Die Themen Menschenrechte und Demokratieförderung
stehen nicht auf ihrer Agenda. In dieser Hinsicht hat Kim nichts zu
befürchten. Sollte es im Nordkorea-Konflikt zu einem Durchbruch
kommen, wären Trump und Kim vor dem heimischen Publikum die großen
Profiteure. Wenn es schief läuft, könnten sie immer noch sagen: Wir
haben alles versucht, aber die andere Seite hat nicht mitgezogen.

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