WAZ: Christdemokratisch verunsichert – Kommentar von Winfried Dolderer

Es ist ein periodisch auftauchendes Gespenst, dem
Ungeheuer von Loch Ness nicht unähnlich. In der CDU geht die Sorge
um, von großstädtischen Wählern nicht mehr gemocht zu werden. Das
Thema ist seit Jahren verknüpft mit einem christdemokratischen
Richtungsstreit. Mit dem Hinweis auf Wahlergebnisse in großen Städten
mahnen „Modernisierer“ eine noch weitergehende Hinwendung zu
zeitgenössischen Befindlichkeiten an. Ebenfalls mit dem Hinweis auf
Wahlergebnisse warnen „Konservative“, das Stammpublikum zu
vernachlässigen. Seit Jahren dreht sich die Debatte im Kreis. Der
politische Gegner reibt gerne Salz in die Wunde. Gestern waren es die
vor Siegesbesoffenheit außer Rand und Band geratenen Grünen, die
Herrn Kuhns Erfolg zum Signal einer „Zeitenwende“, sich selbst für
„hegemonial“ und die CDU für nicht mehr mehrheitsfähig erklärten.
Wahr ist: Die Wähler sind nicht mehr so berechenbar wie früher. Das
verunsichert die traditionellen Volksparteien. Beide. Bei der CDU ist
die Sorge um die „Großstadtkompetenz“ das Symptom dieser
Verunsicherung. Falls der Hinweis die Besorgten tröstet: Nur 15
Prozent der Wahlberechtigten leben in Städten mit mehr als 400.000
Einwohnern.

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