junge Welt: Russland, zum dritten. Kommentar von Sebastian Carlens zur Aufrüstung des Bundeswehr-Reservistenverbandes

Deutschlands Armee ist kein Relikt des Kalten
Krieges. Ganz im Gegenteil, zu hoher Form ist die Bundeswehr erst
nach Ende der Blockkonfrontation aufgelaufen, nachdem sich der
deutsche Imperialismus wieder freigeschwommen hatte. Echte Kriege,
echte Tote. Doch seien wir ehrlich: Diese »humanitären
Interventionen«, die mit überlegener Waffengewalt vom Himmel über
ferne Länder und ihre Bevölkerung hereinbrechen, sind noch immer
nicht das, wofür es ein stehendes Heer mit 180.000 Soldaten, weit
über 100.000 Reservisten, eine breit aufgestellte Panzerwaffe und die
Fähigkeit zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg braucht. Die gibt es für
etwas anderes, nämlich den Fall der Fälle.

Der letzte dieser Art, der »Fall Barbarossa«, endete 1945 in einer
totalen Niederlage. Seitdem wird für die Revanche trainiert. »Auch
wegen der Spannungen mit Russland« will Verteidigungsministerin
Ursula von der Leyen (CDU) den Reservistenverband der Bundeswehr
stärken. Dieser Verband ist die bundesdeutsche Stay-behind-Armee. In
ihm sind ehemalige Soldaten wie militariabegeisterte Ungediente
organisiert. Erst im Rahmen eines Territorialkrieges wird er
interessant: Zur Auffrischung der Infanterie, für militärische
Sicherungs- und Besatzungsaufgaben. Niemand braucht Reservisten, um
in Mali einzudringen oder Afghanistan zu terrorisieren. Doch wenn es
wieder gegen Russland geht, ist das Verteidigungsministerium bereit,
Lehren aus dem Fortgang des historischen »Falles Barbarossa«, des
Überfalls auf die Sowjetunion 1941, zu ziehen. Für die endlosen,
russischen Weiten braucht man Personal.

»Spätestens seit der Annexion der Krim 2014« wisse man, dass sich
die Bundeswehr wieder stärker »auf Landes- und Bündnisverteidigung
konzentrieren« müsse, findet die Ministerin. Das mit der Verteidigung
ist so zu verstehen wie der Titel von der Leyens. Ein Amt, das noch
nie die Armee zur Verteidigung des eigenen Landes eingesetzt hat,
dafür aber in etliche andere eingefallen ist, heißt deshalb
»Verteidigungsministerium«, damit es niemand Kriegsministerium nennt.

Und das für von der Leyen in Frage kommende Bündnis ist natürlich
die NATO. Genau: Die, die mittlerweile bis an die Haustür Russlands
herangerückt ist, das ganze Land mit Basen umzingelt hält und im
Baltikum seit Jahren den »Ernstfall« probt. Die Mär, nach der es
dennoch »der Russe« sei, von dem eine Gefahr für Europa ausgehe,
gehört zum ideologischen Überbau der BRD. So wie die Geschichte von
der »Stunde Null«. Oder die vom »Wirtschaftswunder«.

Nach dem Scheitern zweier Versuche, Russland zu unterwerfen,
spricht wenig für ein Gelingen eines dritten Anlaufs. Doch wären zu
geringe Siegesaussichten für den Imperialismus tatsächlich ein
hinreichender Grund, auf ein Gemetzel zu verzichten – der Menschheit
hätte es zwei Weltkriege erspart.

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