Schwäbische Zeitung: Die Liberalen haben Potenzial – Kommentar

Ja, gibt–s die überhaupt noch? Muss man mit
dieser FDP rechnen, die die Mehrheit der Deutschen für überflüssig
hält, die in Umfragen zuverlässig die Fünfprozenthürde reißt und nur
mit internem Streit auf sich aufmerksam macht? Mit diesem
Egomanenclub, der zum Lieblingsobjekt der Satiriker avanciert ist?

Man muss. Denn in Berlin haben die Liberalen gezeigt, dass sie
durchaus Potenzial haben: Der längst abgeschriebene Parteichef ist
wieder da. Rösler hat in den politischen Abgrund geschaut und ist
daran gewachsen. Er hat gezeigt, dass er reden, führen und sogar
inhaltliche Akzente setzen kann. Und viel wichtiger: Die Partei sucht
Themen jenseits des Neoliberalismus, profiliert sich bei der Homoehe
und diskutiert ernsthaft über Gleichberechtigung und Mindestlohn.
Plötzlich ist auch jener „mitfühlende Liberalismus“ im Bund wieder
hoffähig, mit dem Christian Lindner und Wolfgang Kubicki
Landtagswahlen und Bundesvorstandsposten gewinnen konnten.

Hinzu kommt eine Basis, die selbstbewusst mitredet und
Personalvorschläge der Parteispitze nicht einfach abnickt. Kurz: Was
die Liberalen am Wochenende gezeigt haben, rechtfertigt problemlos
fünf Prozent.

Zumindest, so lange sich das neue Team auch als solches versteht.
Denn aus dem Haufen Individualisten ist trotz heftig beklatschter
Geschlossenheitsrhetorik nicht die gewünschte Fußballmannschaft
geworden. Wolfgang Kubicki hat sich von der Berliner Parteispitze
noch nie den Mund verbieten lassen – ihm wird wohl die Rolle des
Quartalsirren zufallen, den Rösler einfach machen lassen muss. Bei
den anderen Präsidiumsmitgliedern könnte der Burgfrieden aber bis zur
Wahl halten. Am Beispiel Dirk Niebel können sie sehen, wie sehr
offener Aufruhr der persönlichen Karriere Schaden kann. Der
baden-württembergische Spitzenkandidat steht parteiintern im Abseits.
Für ihn wird es schwer, selbst nach einer gewonnenen Bundestagswahl
wieder Minister zu werden.

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