WAZ: Der Kompass fehlt. Kommentar von Dietmar Seher

Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele? Die Frage, die
Autor Richard David Precht ironisch im Buchtitel stellt, könnte zum
Instrument der innerparteilichen Meinungsfindung der CDU taugen. Dass
sich die Christdemokraten gerade zerlegen, liegt natürlich am
fehlenden politischen Kompass.

Kinder in der Kita oder zu Hause? Mehr oder weniger Ausländer?
Dürfen Schwule heiraten? Dass Verunsicherung in Zeiten der
Veränderung Misstrauen, Kritik und Sehnen nach Althergebrachtem
provoziert, ist verständlich. Um des inneren CDU-Friedens willen muss
die Partei da Klarheit schaffen.

Doch dass sie Wahlen verliert, hat damit wenig zu tun. Auch
andere Parteien werden nicht mehr gewählt. Stammwähler sind auf
einstellige Prozentregionen zusammengeschmolzen. Sie sind keine
berechenbare Größe mehr. Bei Landtagswahlen sind Nichtwähler eine
Mehrheit, und in der Bevölkerung gibt es eine große Unlust, sich mit
öffentlich wichtigen Fragen zu befassen.

Hier liegt der Kern des Problems, das Merkels Mannen wirklich
haben. Die CDU muss sich wie andere Parteien auch fragen, welche
Rolle sie für das allgemeine Wohl noch spielt.

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