WAZ: Was Kraft jetzt anpacken muss – Leitartikel von Walter Bau

Als Hannelore Kraft vor zwei Jahren ihre erste
Regierungserklärung vorlegte, war sie neu in der Staatskanzlei und
stützte sich auf eine wacklige Minderheitskoalition. Wenn die
SPD-Frau heute an gleicher Stelle ihr Regierungsprogramm vorlegt, tut
sie dies als eine Ministerpräsidentin, die sich nicht nur auf eine
satte rot-grüne Mehrheit verlassen kann, sondern auch seit 2010 an
Format gewonnen hat. Jetzt kann und muss Kraft zeigen, dass sie die
drängenden Probleme Nordrhein-Westfalens beherzt anpackt. Stichwort
Industrie. NRW ist nach wie vor ein industriell geprägtes Land. Es
gilt, diesen Standort langfristig zu stärken, Arbeitsplätze zu
erhalten und neue zu schaffen. Das geht nur im Konsens mit den
Unternehmen. Kraft, die seit 2010 demonstrativ den Dialog mit Firmen
wie mit Gewerkschaften sucht, muss sich da gegen Widerstände auch aus
Reihen des grünen Koalitionspartners durchsetzen. Stichwort Energie.
Nicht nur für Unternehmen, auch für private Haushalte muss Energie
bezahlbar bleiben, will man nicht soziale Verwerfungen riskieren.
Damit dies gelingt, reicht es nicht, allein auf Öko-Energie zu
setzen. Kraft muss deutlich machen, dass Kohlekraftwerke auf
Jahrzehnte hinaus unverzichtbarer Bestandteil des Energiemixes in NRW
sein werden. Stichwort Integration. Es ist Zeit für eine gezielte
Zuwanderung. Das Land braucht dringend gut ausgebildete,
qualifizierte Menschen aus dem Ausland. Bürokratische Hürden müssen
gesenkt werden, um potenziellen Bewerbern bei Firmen, aber auch an
den Hochschulen an Rhein und Ruhr attraktive Jobs zu bieten.
Stichwort Schulden. Das Land droht, von seiner Schuldenlast erdrückt
zu werden. Kraft muss klarer als bisher aufzeigen, wie sie ihre teure
„vorbeugende Sozialpolitik“ – jetzt in Bildung investieren, um
spätere Sozialkosten zu vermeiden – organisieren will. Die
Schuldenbremse erhöht zusätzlich den Spardruck. Hannelore Kraft muss
ab sofort beweisen, dass sie den politischen Willen hat, diese
Probleme anzugehen. Und sie hat heute die Chance, die Weichen dafür
zu stellen.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 – 804 6519
zentralredaktion@waz.de