Badische Neueste Nachrichten: Ein Etappensieg

Ein „Jahrhunderturteil“ war die Karlsruher
Entscheidung nicht. Sie macht die Euro-Befürworter von Regierung und
Opposition glücklich und muss diejenigen enttäuschen, die ernsthaft
an einen ESM- und Fiskalpakt-Stopp glaubten. Das
Bundesverfassungsgericht konzentrierte sich bei den
milliardenschweren Euro-Rettungs-Gesetzen im Wesentlichen auf die
Überprüfung der Verträglichkeit mit dem Grundgesetz, es übte sich
weder in der Funktion einer europäischen Währungspolizei noch in der
politischen Vormundschaft für Bundestag und Bundesrat. Dieses wäre
auch abwegig gewesen. Nur die direkt vom Volk Gewählten, die
politischen Gestalter, können über Zweck und Sinn europäischer
Rettungspakete urteilen, stellte Gerichtspräsident Voßkule in einem
zentralen Satz unmissverständlich fest. Und da der Zweite Senat im
Hauptsacheverfahren „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ keine
Verfassungsverletzung in Budgethoheitsfragen ausmachen wird, mussten
die Eilanträge Tausender zurückgewiesen werden. Das ist die einfache
Geschichte von Karlsruhe – zum Leidwesen derer, die dem Euro
skeptisch gegenüberstehen und sich zumindest kernige Sätze für das
Stammbuch der Politik gewünscht hätten. Doch so ist die Geschichte
nicht zu Ende erzählt. Die Richter haben Berlin und Europa sehr wohl
Bemerkenswertes auf den Weg gegeben, weil der ESM-Vertrag
signifikante Unsicherheiten birgt. In die Ratifizierung müssen nun
Vorbehalte zur Haftung, zur Informationspflicht und zur Beteiligung
der deutschen Gremien eingearbeitet werden. Dieses zwingt die Politik
noch mal zum Nachsitzen. Und es rückt die Gewichte in der
europäischen Schlüsselfrage Euro wieder etwas stärker in Richtung
Berlin, es stärkt die deutsche Demokratie und Sichtweise der Dinge.
In einem Aspekt verdient der von einem illustren internationalen
Publikum beachtete Karlsruher Spruch nämlich ganz sicher das
Gütesiegel „im Namen des Volkes“: Für viele Menschen ist das
Euro-Krisenmanagement zum Fass ohne Boden geworden. Mit
Rettungsschirm-Jonglierereien, die in beängstigende Höhen klettern,
mit weitführenden Gedanken um eine Haftungsunion und
Vergemeinschaftungen, mit Tabubrüchen im Stabilitätssystem und einer
Bankenrettungs-Akrobatik, die Sorge bereitet. Ein Dämpfer – wie die
Deckelung der ESM-Haftungsgrenze auf 190 Milliarden Euro – kommt da
für viele Bürger gerade zur rechten Zeit. Auch die kritischen
Anmerkungen zum unbeschränkten EZB-Ankauf von Staatsanleihen
kriselnder Länder – unter dem Aspekt deutscher Zustimmungsgesetze –
deuten auf richterliche Prüfungen hin, die ins Getriebe einer allzu
kühnen Schuldenkrisen-Bekämpfung Sand bringen könnten. Für die
Kanzlerin markiert Karlsruhe einen Etappensieg: „Ein guter Tag für
Deutschland und für Europa.“ Doch wie sehr hat sich der Euro, bei
Kohl und Mitterrand noch der Liebling europäischer Visionen, in
Maastricht und Lissabon das Planungsobjekt einer soliden
Währungszone, zur Krisen-Münze entwickelt: Schon zweimal binnen
kurzer Zeit musste sich das Verfassungsgericht mit
Milliarden-Rettungs-Operationen befassen. Fortsetzungen nicht
ausgeschlossen. Was der Euro dringend braucht, sind
vertrauensbildende Maßnahmen. Das Karlsruher Urteil ist hier nur ein
Markstein, aber ein vielsagender. Die deutsche Lokomotive wird den
Euro-Zug nicht mit unbegrenzter Stärke ziehen können. Zugkraft muss
ebenfalls von anderen ausgehen. Auch diese Botschaft ist von
Karlsruhe aus in die Welt gegangen.

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