Weser-Kurier: Der „Weser-Kurier“ (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 10. Juli 2012 die Verwirrung um eine Neufassung des Meldegesetzes:

Dilettanten-Stadl

von Joerg Helge Wagner

Dreimal ist Bremer Recht – das nimmt offenbar auch die
Regierungskoalition in Berlin für ihre Fehlleistungen in Anspruch.
Nach der Posse um die Hotellerie-Besteuerung und dem Reinfall mit dem
Betreuungsgeld leistet man sich nun die Schmierenkomödie
„Meldegesetz“. Das Stück scheinbar ausschließlich mit Dilettanten
besetzt; in der Rolle des Hanswurst glänzt der Bundesinnenminister
Hans-Peter Friedrich. Der bringt es fertig, die in sagenhaften 57
Sekunden durch den fast leeren Bundestag gepeitschte Novelle zunächst
einen „Fortschritt im Datenschutz“ zu nennen. Zwei Stunden später
hält er die Änderungen für „problematisch“ und versichert, dass
dieser vermeintliche Fortschritt im Bundesrat wieder einkassiert
werde. Neben dem pflichtgemäßen Gezeter der Opposition kamen nämlich
die schärfsten Bedenken von Kabinettskollegin Ilse Aigner und Horst
Seehofer – beides Parteifreunde von Friedrich. CSU-Chef Seehofer muss
wieder einmal einen peinlichen Widerspruch aufklären, denn offenbar
war es ja vor allem seine Partei, die im Innenausschuss auf genau
jene Veränderung gedrängt hat, die er nun im Bundesrat mit den
Stimmen Bayerns verhindern will. Wer soll diese Leute eigentlich noch
ernst nehmen? Der andere kleine Regierungspartner der CDU gibt eine
ähnlich lächerliche Figur ab. Die Liberalen sind wieder einmal hin-
und hergerissen zwischen ihrem Selbstverständnis als Sachwalter der
Wirtschaft und Verteidiger der Bürgerrechte. Beides geht in diesem
Fall aber überhaupt nicht zusammen: entweder erfreut man die
Werbewirtschaft mit amtlich aktualisierten Datensätzen potenzieller
Kunden oder man schützt die informationelle Selbstbestimmung von
Privatmenschen. Dann aber ist der Zugriff auf deren persönliche Daten
weitestgehend zu beschränken. Man hat entweder Prinzipien und
Prioritäten oder man fällt in politische Schizophrenie. Wie es
aussieht, gehört die FDP ebenso wie die CSU auf die Couch. Genau
dorthin hatte sich übrigens wenig ruhmreich das Gros der
parlamentarischen Opposition verzogen, um bei der entscheidenden
Abstimmung lieber Deutschland gegen Italien kicken zu sehen.
Wenigstens das passt: Hier wie dort hat die stellvertretend die
gesamte Nation verloren. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de

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