Über die Hintergründe zum Fall Sami A. ist von
den Gerichten einiges gesagt. Zur weiteren Aufklärung hätten
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und NRW-Flüchtlingsminister
Joachim Stamp (FDP) bei einem lange anberaumten Treffen gestern
gegenüber der aufgescheuchten Öffentlichkeit beitragen können. Sie
zogen es aber vor, den Auftritt „wegen vieler offenen Fragen“ zwölf
Stunden vorher abzusagen. Damit haben sie den Eindruck verstärkt, in
den Ministerien müsse die Darstellung des Hergangs für die eigene
schadlose Existenz noch einmal überdacht werden. Mit einem reinen
Gewissen wäre der Tag wohl in professioneller Zweisamkeit verlaufen.
Zumal klar ist, dass Seehofer und Stamp in dieser Sache im selben
Boot sitzen. Der deutsche Innenminister braucht Hardliner-Erfolge für
die bayerische Landtagswahl am 14. Oktober (jedenfalls glaubt er
das), Stamp will seinen Ruf verfestigen, die Dinge so pragmatisch
anzugehen, wie es der große Teil der Bevölkerung für vernünftig hält:
Bei denen mit Bleiberecht zu vernünftiger Integration zu kommen,
dafür aber Gefährder und illegal in Deutschland lebende Menschen
konsequenter als bisher auszuweisen. Auf welch dünnem Eis das oft
geplant wird, bekommt Stamp gerade zu spüren. Und mit dieser
Erkenntnis eine zweite: Dass nämlich der Fall Sami A. in der
deutschen Parteienlandschaft gerade ansehnlich durchdekliniert wird
und so als Abbild der zerrissenen Gesellschaft taugt. Selbst durch
die FDP geht ein Riss: Der Jurist Wolfgang Kubicki steht mit seinem
Wort von der „Erosion des Rechtsstaats“ gegen das enge Bündnis von
FDP-Chef Christian Lindner und Stamp. Der Fall fordert den Parteien
alles ab: Zum Beispiel hat sich die SPD-Fraktion in NRW entschieden,
auf Angriff zu spielen. Fraktionsgeschäftsführerin Sarah Philipp
brachte die Möglichkeit eines Untersuchungsausschusses ins Spiel.
Dabei wird ihr klar sein müssen, dass das SPD-Klientel kaum verstehen
würde, wenn sich der NRW-Landtag mit horrenden Steuergeldern für die
Heimholung eines Gefährders aus Tunesien in die Bresche würfe. Es ist
ein Spiel mit dem Feuer: Es geht um Rechtsstaatlichkeit auf der einen
und geforderte politische Durchsetzungskraft auf der anderen Seite.
Um die Frage, ob das gegeneinander aufgewogen werden darf. Und darum,
wie man dem Wähler vermitteln kann, dass die Antwort darauf „Nein“
lauten muss. Sami A. ist eine Herausforderung für die Stabilität der
Demokratie.
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