Hilfsorganisationen? „Diese Leute fliegen in dieärmsten Länder der Welt, mieten sich die größten Villen“ / Autorin Linda Polman äußert sich im stern nach Oxfam-Skandal

Die Niederländerin Linda Polman berichtet seit
Jahrzehnten als Journalistin und Autorin aus Katastrophengebieten und
hat drei Bücher über zweifelhafte Praktiken von Hilfsorganisationen
geschrieben. Der jüngste Skandal um die britische
Wohltätigkeitsinstitution Oxfam kommt insofern für sie keineswegs
überraschend, wie Polman in einem Interview mit dem am Donnerstag
erscheinenden Magazin stern erklärt. Oxfam stehe zwar gerade im
Zentrum der Debatte, die Misere betreffe aber so gut wie alle
Hilfsorganisationen – und das Muster sei überall gleich: „Diese Leute
fliegen in die ärmsten Länder der Welt, mieten sich die größten
Villen, lassen sich in den dicksten Autos rumfahren, essen in den
teuersten Restaurants. Und bauen schlimmstenfalls noch ein
Abhängigkeitsverhältnis zu den Menschen auf, denen sie an sich helfen
sollten. Unter ihnen eben viele Mädchen.“ Sie selbst habe das vor Ort
immer wieder erlebt, es sei an der Tagesordnung.

Auf die Frage, ob die Enthüllungen um Oxfam auch mit der
#MeToo-Debatte zusammenhingen, sagt die Niederländerin, es gebe da
einen erheblichen Unterschied: „Die Frauen in der Filmindustrie
konnten Sex zustimmen – und den Job bekommen. Oder eben nicht.
Wohingegen die jungen Mädchen in Haiti oder anderswo diese Wahl nicht
haben. Diese Frauen können sich das nicht aussuchen. Das Machtgefälle
ist noch mal erheblich größer.“

Polman kritisiert die Organisationen seit Jahren, eines ihrer
Bücher heißt „Die Mitleidsindustrie“. Aus Hilfe, sagt sie, sei längst
ein Milliardengeschäft geworden und die Konkurrenz untereinander
entsprechend groß: „Die kämpfen mit allen Mitteln, um besser als die
anderen dazustehen“. Sie habe beispielsweise auf Haiti mit dem Leiter
eines Krankenhauses in der Hauptstadt Port-au-Prince gesprochen, der
völlig verzweifelt gewesen sei. „Seine Ärzte und Krankenschwestern
waren alle weg. Abgeworben von den Hilfsorganisationen. Und zwar
nicht einmal als Ärzte, sondern als Übersetzer und Chauffeure.“ Den
Organisationen gehe es in erster Linie darum, zu funktionieren und
nach Hause signalisieren zu können: Wir geben das Geld sinnvoll aus.

Viele setzen dabei auf die Bequemlichkeit der Spender. „Wer
spendet“, sagt Polman im stern, „sollte deshalb seine Hausaufgaben
machen. Zehn Euro zu geben, um sein Gewissen zu erleichtern, ist zu
wenig. Damit verändert man nichts.“ Panik sei nicht die richtige
Reaktion auf Katastrophen, „und erst recht nicht, der erstbesten
Hilfsorganisation Geld hinterherzuwerfen“. Stattdessen sollten die
Menschen erwägen, Organisationen zu unterstützen, die überprüfbar gut
arbeiten, darunter eben auch kleine und lokale. Polman: „Wer die
sucht, findet sie auch. Man muss sich nur die Mühe machen.“

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