Westfalenpost: Kommentar zu Westerwelle / Dreikönigstreffen

Selten hat ein Parteivorsitzender so viel Kritik
einstecken müssen wie in den vergangenen Wochen Guido Westerwelle.
Doch die Verstimmung der Liberalen über ihren Chef kommt nicht von
ungefähr.

Immerhin hat es dieser Vorsitzende geschafft, seit
dem grandiosen Sieg bei der Bundestagswahl 2009 seine Partei in
Rekordzeit auf einen absoluten Tiefpunkt zu bringen. In Umfragen
liegt die FDP in der Wählergunst bei drei Prozent. Ein Desaster, das
Westerwelle auf seine Kappe nehmen muss. Denn er hat es an Führung
vermissen lassen. Das Amt des Außenministers, in dem er eher schlecht
als recht angekommen ist, beansprucht ihn dermaßen, dass er nur
FDP-Teilzeitvorsitzender sein kann. Dieser hat seinen Laden nicht im
Griff. Deshalb ist das Erscheinungsbild der Liberalen vor wichtigen
Landtagswahlen katastrophal.

Angesichts dieser Misere bot das
traditionelle Dreikönigstreffen Westerwelle die Chance zum
Befreiungsschlag. Doch der in Turbulenzen geratene FDP-Chef hat diese
Gelegenheit nicht genutzt. Was er seinem Parteivolk präsentierte, war
über weite Strecken kaum mehr als eine gewöhnliche Wahlkampfrede.
Zwar gab sich Westerwelle in Stuttgart kämpferisch. Auch parierte er
Protest und Zwischenrufe souverän. Doch Westerwelle referierte
größtenteils die bislang wenig berauschenden Erfolge seiner
Regierungsarbeit. Statt sich als zupackender Chef zu zeigen, der die
Probleme der Partei und die eigenen Fehler schonungslos thematisiert,
war er sichtlich bemüht, den Staatsmann herauszukehren. Doch diese
Klasse hat Westerwelle noch lange nicht. Vor allem aber ließ er
unmissverständliche Worte zu seiner politischen Zukunft als
Parteichef vermissen.

Nein, dies war keine Ruckrede. Damit
öffnet der angeschlagene Vorsitzende weiteren Spekulationen Tür und
Tor. Von Beifall und Treueschwüren sollte er sich nicht täuschen
lassen. Westerwelle ist ein Parteichef auf Abruf. Seine Kritiker
spielen auf Zeit, loswerden wollen sie ihn trotzdem. Sie warten ab,
wie die Liberalen bei den Landtagswahlen im Frühjahr abschneiden.
Sollte es in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz so desaströs für
die FDP ausgehen, wie es Umfragen befürchten lassen, wird bei den
Liberalen ein Sündenbock dringend gesucht. Zumindest für diese Rolle
wäre Westerwelle erste Wahl.

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