Schwäbische Zeitung: Tiefe Gräben im Land

Es überrascht nicht, dass kurz vor der
Volksabstimmung zu Stuttgart 21 ein Papier auftaucht, das von höheren
Kosten für das Bahnprojekt ausgeht. Schon 2009 soll der damalige
Ministerpräsident Oettinger den Schriftsatz seiner Beamten gesehen
und unverzüglich wieder in die Schublade gesteckt haben. Die höheren
Zahlen seien in der Öffentlichkeit nicht kommunizierbar, soll der
Landeschef lakonisch bemerkt haben.

Kein Zweifel: Diese Episode aus der Villa Reitzenstein soll den
Eindruck befeuern, dass in früheren Zeiten getrickst, gemogelt und
gemauschelt wurde. Denn tatsächlich geht es längst nicht mehr um
Bahnhöfe, Zugtrassen oder alte Bäume im Stuttgarter Stadtpark. Es
wird ein Glaubenskrieg geführt. Wer immer die Berechnungen aus
Oettingers Haus weitergetragen hat, will das Gebaren der früheren
schwarz-gelben Regierung anprangern. Das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist
die Projektionsfläche, um mit dem Politikstil vergangener Jahre
abzurechnen. Natürlich ist es denkbar, dass Oettingers Beamte über
Kosten grübelten und zu dem von Schwarz-Gelb gefürchteten Ergebnis
kamen. Ob ihre Kalkulationen aber so viel exakter waren, als die dann
offiziell vorgelegten Berechnungen, lässt sich kaum beurteilen.
Schließlich behaupten derzeit auch die Gegner von Stuttgart 21, die
Ausstiegskosten lägen höchstens bei 350 Millionen, während die Bahn
sie mit 1,5 Milliarden Euro veranschlagt. Das lässt Raum für
Spekulationen – und ist für Außenstehende nicht mehr
nachzuvollziehen.

Insofern ist es gut, wenn die Volksabstimmung jetzt endlich einen
Punkt unter die verfahrene Diskussion setzt. Sie wird
Baden-Württemberg zwar nicht befrieden, weil die Gräben zwischen den
Lagern zu tief sind. Zumindest aber besteht die Hoffnung, dass sich
das politische Klima normalisiert. Wenn das Volk erst gesprochen hat,
kann sich die Landesregierung mit aller Kraft wieder aktuellen Fragen
widmen. Denn es gibt wichtigere Probleme, als den Stuttgarter Bahnhof
und Oettingers Betragen im Jahr 2009.

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