Neues Deutschland: zur deutschen AKW-Debatte

Das Frohlocken über einen späten Sieg der Vernunft
muss uns im Halse stecken bleiben. Nicht nur, weil der angesichts des
japanischen Desasters viel zu teuer erkauft wäre. Auch, weil die
regierungsamtliche deutsche Reaktion mit der vorläufigen Aussetzung
der AKW-Laufzeitverlängerung unsere Intelligenz beleidigt – nachdem
eilfertige Verharmlosungen nicht verfingen, die Experten wie Volk
falschen Alarmismus zieh. Ungeachtet massiver Proteste war die
Kanzlerin, CDU-Chefin und Physikerin vor Monaten vor der Atomlobby
eingeknickt und hatte leichten Herzens der Laufzeitverlängerung auch
für schon schrottreife AKW grünes Licht gegeben. Nun hat sie mit
Krokodilstränen in den Augen und den Landtagswahlen im Hinterkopf die
Notbremse gezogen. Der Ausstieg aus dem Ausstiegs-Ausstieg folgt
nicht der großen Einsicht, sondern jenem kleinkarierten Machtspiel,
das Merkel immer öfter zu einer Hü-und-Hott-Politik treibt.
Angesichts der drohenden Niederlage in Baden-Württemberg macht aber
nicht nur sie eine – wie zu fürchten ist: nur vorübergehende –
Metarmorphose durch. Da frisst auch der Atomlobbyist und
CDU-Noch-Ministerpräsident Stefan Mappus Kreide, der unlängst noch
den Bundesumweltminister aus der eigenen Partei zum Rücktritt
aufgefordert hatte, weil der zaghafte Bedenken gegen längere
Laufzeiten offenbarte. Selbst Abschaltungen sollen nun nicht mehr
ausgeschlossen sein. Kernkraftgegner, die seit Jahren im Südwesten
erfolglos darum kämpfen, müssen sich verwundert die Augen reiben. Sie
dürfen sich auch freuen. Nur Mappus oder Merkel für geläutert halten,
das dürfen sie nicht.

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