NRZ: Auf dem Weg in die Eliten-Demokratie – ein Kommentar von JAN JESSEN

Vor der Bundestagswahl tingelte der eine oder andere
Intellektuelle durch die Talkshow-Landschaft und kokettierte damit,
aus Protest gegen den politischen Betrieb nicht wählen zu wollen. Das
war zur Schau getragene Politikverachtung, die einfach nur dämlich
war. Schlimmer als dieser Snobismus sind die Erkenntnisse der
Bertelsmann-Stiftung. Immer mehr arme Menschen klinken sich aus dem
demokratischen Willensbildungsprozess aus. Wir bewegen uns langsam
auf eine Art Eliten-Demokratie zu. Der Graben wird tiefer zwischen
jenen, die den Urnengang als Möglichkeit eigener Gestaltungskraft und
Einflussnahme sehen und denen, die das Vertrauen in den politischen
Betrieb völlig verloren haben; die offenbar davon überzeugt sind,
dass „die da oben“ sowieso nichts mehr für sie tun können und wollen.
Demokratieverdrossenheit scheint sich wie Armut zu verfestigen. Das
ist brandgefährlich. Politiker verstehen Wahlergebnisse als
Bestätigung oder Ablehnung ihrer Arbeit. Wähler sind Lobbyisten in
eigener Sache. Wenn die gut Situierten überproportional häufig wählen
gehen und die finanziell Schwachen und Arbeitslosen vergleichsweise
selten, dann verschiebt sich der Fokus politischer Arbeit – für die
Abgehängten wird noch weniger getan, weil sie ihre Stimme ja sowieso
nicht erheben oder abgeben. Das zementiert die Überzeugung, dass der
politische Betrieb nur für die besser Gestellten Profit bringt. Ein
Teufelskreis, der durchbrochen werden muss, wenn die Demokratie nicht
ihre Überzeugungskraft verlieren soll.

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