NRZ: El Kaida ist stärker denn je – ein Kommentar von JAN JESSEN

Der weltweite Terroralarm und die Schließung
insbesondere US-amerikanischer Botschaften in zahlreichen Ländern
kann auf vielerlei Weise gedeutet werden. Vielleicht drohten oder
drohen mehr denn je tatsächlich mörderische Anschläge; obgleich es
zumindest eigenartig anmutet, dass sich Terrorfürsten angeblich via
Telefon darüber austauschen, als hätten sie noch nie etwas von den
Überwachungsmöglichkeiten westlicher Geheimdienste gehört. Vielleicht
soll der Alarm aber auch die Erregung über den
NSA-Überwachungsskandal dämpfen und die umstrittenen Maßnahmen im
Nachhinein legitimieren. Eines jedenfalls ist die weltweite
Terrorwarnung sicher: eine Bankrotterklärung der bisherigen
Antiterror-Politik der USA. Das Terrornetzwerk El Kaida samt seiner
dumpfen, menschenverachtenden Ideologie wurde immer wieder totgesagt.
Es ist aber nicht tot. Es hat sich verändert, und es ist heute
stärker als jemals zuvor. Als der damalige US-Präsident Bush den
Krieg gegen den Terror nach dem 11. September 2001 ausrief, kämpften
einige Hundert selbst ernannte Gotteskrieger unter dem schwarzen
Banner. Heute sind es Zehntausende. Es spricht vieles dafür, dass El
Kaida längst nicht mehr streng hierarchisch geführt wird. Die
Filialen auf der arabischen Halbinsel, in der Sahelzone, auf dem
Sinai, in Somalia, im Irak und Syrien agieren weitgehend autonom und
verfolgen ihre eigene Agenda. Das macht sie nicht ungefährlicher. Im
Gegenteil. Die Terroristen werden unberechenbarer. El Kaida konnte
sich ausbreiten, weil viele Fehler gemacht wurden. Etwa, weil der
Krieg gegen den Irak das Machtgefüge im Nahen Osten nachhaltig
verändert hat und das Land übereilt seinem Schicksal überlassen
wurde. Dort, wo Regierungen schwach sind, nisten sich die
Dschihadisten ein. Gleiches gilt für Libyen: Für die Zeit nach dem
Sturz Gaddafis existierte kein Szenario zum Aufbau eines
funktionierenden Staatsgebildes, die ganze Region wurde mit Waffen
geflutet. Ein Fehler ist auch der Drohnenkrieg in Somalia, Pakistan
und im Jemen. Er mag kleine Erfolge bringen. Auf lange Sicht hat er
aber fatale Auswirkungen: Er wird von den Terroristen
propagandistisch ausgeschlachtet und führt ihnen ständig neue
Rekruten zu. Ein Fehler ist nicht zuletzt die als Realpolitik
verbrämte Nachsichtigkeit mit Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten –
Ländern, aus denen Ölmillionen für die Finanzierung des sunnitischen
Terrors fließen. Letzten Endes macht unser Geld unsere Feinde stark.

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