Zur Kandidaten-Kür von Peer Steinbrück schreibt die
„Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung“ (Montagsausgabe):
Eine Kandidatenkür vermag auch die zänkischste Partei in eine
Gesellschaft zur gegenseitigen Bewunderung zu verwandeln. So war es
beim Königinnenfest des Kanzlerinnenwahlvereins CDU, und so war es
gestern bei Peers Party. Überbewerten darf man solche Veranstaltungen
nicht. Acht Minuten Jubelsturm für Angela Merkel, mehr als zehn für
Steinbrück, über die wahre Chancenverteilung sagen solche
Vermessungen von Stimmungen nichts aus. Für den SPD-Kanzlerkandidaten
war aber das Wahlergebnis von größter Bedeutung. Seinen rumpeligen
Start mit quälenden Debatten über Vortragshonorare hätte der
Parteitag auch mit einem Denkzettel quittieren können. Entsprechend
sichtbar erleichtert hat Peer Steinbrück die guten 93 Prozent
Zustimmung der Delegierten aufgenommen.
Mit einer kämpferischen Rede hat er endlich die Herzen der
Genossen gewonnen. Dass Deutschland wieder mehr „Wir“ und weniger
„Ich“ braucht, ist ein packender Slogan, der den SPD-Wahlkampf prägen
wird. Angesichts einer scheinbar unbeherrschbar gewordenen
Marktwirtschaft, die jeden Tag mit brandneuen Krisen die Bürger
verunsichert, ist der Appell an die soziale Verantwortung
goldrichtig. Peer Steinbrück, sonst ein kühler Pragmatiker und
keineswegs Vertreter der Parteigruppe „Rote Pumpe“, hat in seiner
programmatischen Rede eine überraschende Linkskurve gewagt. Mit der
Ankündigung, der „soziale Wohlfahrtsstaat“ müsse das
gesellschaftliche Ziel einer SPD-geführten Bundesregierung sein, hat
er eine Richtung vorgegeben, die seine Partei zur klaren Alternative
macht.
Angela Merkel, die nur gefühlt „ewige Kanzlerin“ ist, tatsächlich
aber bisher nur knapp Gerhard Schröder überrundet hat, darf sich auf
einen klugen, ehrgeizigen Herausforderer freuen, dessen Aussichten,
die „Wende“ zu packen, seit gestern wieder gestiegen sind. Peer
Steinbrück versucht nicht, sie in der Mitte zu schlagen, wo sie sich
häuslich eingerichtet hat, sondern er haucht dem alten Traum der SPD
von einer gerechteren Gesellschaft neues Leben ein. Wie das zu
bezahlen ist, wird auf Jubelparteitagen nicht gefragt. Den Wähler
wird es allerdings interessieren.
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