Schwäbische Zeitung: Unwürdiges Schauspiel in der Ostukraine – Leitartikel

Es ist ein unwürdiges Schauspiel, das der Welt
im politischen Dreieck Kiew-Donezk-Moskau geboten wird. 298 Menschen
vieler Nationen haben ihr Leben bei einer Flugzeugkatastrophe
verloren. Noch sind nicht einmal alle menschlichen Überreste
geborgen. Doch für die Machthaber in Russland, der Ukraine und die
prorussischen Separatisten in Donezk gibt es nichts Wichtigeres, als
vor Beginn der Ermittlungen eilig Urteile über die Schuld der jeweils
anderen Seite zu fällen. Respekt und Rücksicht auf die Gefühle der
Hinterbliebenen sind ihnen fremd.

Die offiziellen Erklärungsversuche überzeugen nicht. Erst sollen
Rebellen einige Boden-Luft-Raketensysteme unter ihre Kontrolle
gebracht haben. Dann heißt es: Alle ukrainischen Raketen seien
vollzählig. Wenn 36 Stunden nach dem Unglück etwas klar ist, dann
dieses: Sowohl der Kremlchef Putin als auch der ukrainische Präsident
Poroschenko verdienen bei der Aufklärung nicht unser Vertrauen. Eine
unabhängige internationale Untersuchung muss her, doch dazu müssten
die Experten ungehinderten Zugang zum Katastrophenort bekommen.
Bislang ist nicht klar, ob die Separatisten tatsächlich ihre Angriffe
in der Donezk-Region einstellen werden.

Während die Welt mit den Familien des Flugs MH17 trauert, drohen
sie Poroschenko mit der Ausweitung ihres sogenannten
Partisanenkrieges. Das alleine wäre nicht genug, um die
Öffentlichkeit im Westen aufzuwühlen. Wir mussten erst Bilder der
brennenden Boeing sehen, um wieder zu begreifen, dass der Krieg uns
alle angeht – weil theoretisch jeder Flugreisende im Himmel über der
Ukraine den Tod finden könnte. Daraus kann es nur eine
Schlussfolgerung geben: Waffenstillstand, Verhandlungen, Frieden und
Versöhnung. Sollte sich herausstellen, dass die Rebellen den Flug
tatsächlich auf dem Gewissen haben, muss Putin den ersten Schritt zur
Befriedung der Ukraine tun und jegliche Unterstützung der
Separatisten einstellen.

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