Westdeutsche Zeitung: Gemeinsamer Unterricht Behinderter und Nichtbehinderter = von Martin Vogler

Die Landesregierung könnte es sich einfach
machen. Eine schon seit 2009 geltende UN-Bestimmung verlangt, dass
die Länder die sogenannte Inklusion ermöglichen müssen. Das heißt,
jeder Behinderte hat das Recht, nicht mehr in eine Förderschule zu
gehen, sondern mit Nichtbehinderten gemeinsam unterrichtet zu werden.
Die Regierung ist also sogar dazu verpflichtet, dass das klappt. So
die Theorie. In der Praxis hakt es allerdings, weil die
Landesregierung solch einen weitreichenden und vor allem teuren
Schritt nicht einfach anordnen kann. Denn wenn man die Inklusion
sinnvoll umsetzen will, kostet sie ungemein viel Geld. Das Land
stellt sich vor, dass die Städte und Gemeinden bezahlen. Die wollen
nicht, drohen mit Klage. Um gerade bei solch einem sensiblen Thema
juristische Auseinandersetzungen zu verhindern, gibt es jetzt ein
fragwürdiges Spiel auf Zeit: Heute wird das Gesetz zwar wohl
verabschiedet werden, soll aber erst im kommenden Schuljahr gelten.
SPD und Grüne hoffen, bis dann die Kostendiskussion mit Städten und
Gemeinden erfolgreich zu beenden. Allerdings haben auch in den
vergangenen Wochen Regierung und kommunale Spitzenverbände um eine
Lösung gerungen. Warum das mit zeitlicher Verzögerung besser klappen
soll, ist rätselhaft. Schade, dass das gute Ziel, Behinderte optimal
zu fördern, wegen der Geldfrage in den Hintergrund tritt. Doch wenn
man Inklusion praktizieren will, ist das teuer. Dabei geht es nicht
nur etwa um rollstuhlgerechte Zugänge – zumal Körperbehinderte
lediglich einen Teil der Betroffenen ausmachen. Richtig teuer wird
es, weil der Inklusions- Unterricht in sehr kleinen Klassen
stattfinden und neben dem normalen Lehrer ein Förderlehrer dabei sein
sollte. Gerade Letzteres ist leider im Alltag oft nicht der Fall –
denn auch heute wird gemeinsamer Unterricht bereits durchgeführt.
Bedauerlich ist, dass beim Ringen um einen politischen Kompromiss die
Grundsatzfrage, ob Inklusion generell die für alle Seiten beste
Lösung ist, außen vor bleibt. Die Gefahr, dass dabei sowohl
Behinderte als auch Nichtbehinderte vom Lernfortschritt her
schlechter gestellt sind als bei getrenntem Unterricht, sollte man
zumindest vor Augen haben.

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