Die Konjunktur brummt, die Löhne steigen, die
Regierung plant Rentenwohltaten – und da klagen Experten über eine
wachsende soziale Spaltung? Auf den ersten Blick erscheint das
Jahresgutachten zur sozialen Lage als realitätsferne Miesepetrigkeit.
Nicht jeder Minijob taugt als Beleg für eine soziale Kluft, und auch
die Aussagekraft der Armutsquote ist umstritten. Dennoch, zum guten
Teil haben die Kritiker mit ihrem Befund leider recht: Der Wohlstand
wächst zwar, erstaunlich viele aber profitieren davon nicht. Trotz
steigender Erwerbstätigkeit finden Langzeitarbeitslose keine Jobs.
Die Altersarmut nimmt von niedrigem Niveau rasch zu. Und bei der
Vermögensverteilung hat sich in Deutschland die Schere zwischen Arm
und Reich so weit geöffnet wie in keinem anderen Land der Eurozone.
Das ist nicht allein auf dem Arbeitsmarkt zu ändern, korrigieren kann
das nur die Politik. Seltsam, dass das die Große Koalition bisher
kalt lässt. Ihre Reformpläne, von der Rente mit 63 bis zum
Mindestlohn, kommen zwar Millionen Bürgern zugute – am Armutsproblem
gehen sie aber ebenso vorbei wie an der Vermögensschieflage. Lange
darf die Politik nicht mehr wegsehen. Wenn der soziale Zusammenhalt
zerbröselt, schwächt das auch den Wirtschaftsstandort mit seiner
Wohlstandsproduktion.
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