Mittelbayerische Zeitung: Westerwelles Weihnacht/Der FDP-Chef ist angezählt. Seine Partei überlegt, wie es ohne ihn weitergeht.

Eine Muh, eine Mäh, eine Täterätätä, eine Tute,
eine Rute – und einen neuen Parteichef bitte. So oder so ähnlich
könnte der Wunschzettel des einen oder anderen FDP-Politikers in
diesem Jahr aussehen. Allein: Es ist ein frommer Wunsch. Unterm
Weihnachtsbaum wird kein neuer Oberliberaler sitzen. Und auch die
Heiligen Drei Könige bringen vielleicht Gold, Weihrauch und Myrrhe,
aber keinen Ersatz für Guido Westerwelle. Aber eines dürfte sicher
sein: Seine Tage als FDP-Vorsitzender sind gezählt. Die Kritik des
schleswig-holsteinischen FDP-Fraktionsschefs Wolfgang Kubicki mag man
noch als die Provokation eines Nörglers gesehen haben, aber schnell
war klar, dass Kubicki nicht alleine war. Letzten Donnerstag, so will
es der Flurfunk, habe sich eine Reihe von FDP-Spitzenpolitikern
ernsthaft mit der Zeit nach Westerwelle auseinandergesetzt. Wer sich
den tiefen Fall der Liberalen seit der Bundestagswahl ansieht, mag
ihnen das auch nicht verübeln. Fast 15 Prozent holte die
Westerwelle-FDP damals. Heute, nur ein Jahr später, droht die Partei
an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Mehr noch, in der Partei
mehren sich die Stimmen derjeniger, die sich darüber beschweren, dass
die Erfolge der Liberalen in der Öffentlichkeit nicht als solche
wahrgenommen werden – weil die Parteiführung sie auch nicht als
solche verkauft. Zudem sitzt der verkorkste Start dieser
Bundesregierung den FDP-Mitgliedern noch immer in den Knochen. Zuerst
die schlechte Publicity aufgrund der Steuersenkungen für die
Hotellerie. Dann die gebrochenen Steuersenkungsversprechen. Die
Streitereien mit dem Koalitionspartner. Westerwelles Aussagen über
„spätrömische Dekadenz“ im Zusammenhang mit der Hartz-Debatte. Seine
Auslandsreise, bei der sein Lebensgefährte Wirtschaftskontakte
knüpfen durfte – das alles hat das Bild der Partei beschädigt. Und
das ihres Vorsitzenden ebenfalls. Als dann später im Jahr erste
Erfolge einer liberalen Politik im schwarz-gelben Regierungsalltag
sichtbar wurden, war niemand da, der diese als solche hervorhob. Vor
allem, dass die Aussetzung der Wehrpflicht – einst eine Urforderung
der Jungen Liberalen – CSU-Verteidigungsminister zu Guttenberg
überlassen wurde, schlug vielen in der FDP auf den Magen. Auch die –
wenngleich gering erscheinenden – Steuersenkungen, die die Koalition
im Winter verabschiedete oder das viel kritisierte Energiekonzept
hätten nach Meinung vieler FDP-Mitglieder stärker als liberale
Errungenschaften gekennzeichnet werden müssen. Den letzten Fehler
machte Westerwelle wohl in den Augen seiner Partei im zögerlichen
Umgang mit dem FDP-Wikileaks-Maulwurf Helmut Metzner. Man kann nur
darüber spekulieren, was auf Westerwelles Wunschzettel steht. Weit
oben ist sicher, dass sich in seiner Partei kein Königsmörder findet.
Denn bislang hat der Parteichef einen entscheidenden Trumpf in der
Hinterhand: Es gibt derzeit keinen Ersatz. Wirtschaftsminister Rainer
Brüderle mag als Kandidat favorisiert werden. Aber sollte er jetzt
die Parteispitze übernehmen, müsste er auch die vorhersehbaren
Niederlagen bei den kommenden Landtagswahlen auf seine Kappe nehmen.
Und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mag beliebt
sein, dürfte aber konservativen Liberalen außerhalb Bayerns schwer
vermittelbar sein. Gesundheitsminister Philipp Rösler hat wie
FDP-Generalsekretär Christian Lindner das Manko der Jugend. Noch
etwas wird Westerwelle sich wünschen: ein gutes Abschneiden der FDP
bei den anstehenden Landtagswahlen. Denn mit jedem Prozent plus
steigt die Chance, dass er im Sattel bleibt. Der dringendste Wunsch
wird aber sein, dass seine Partei die Nerven behält. Denn so, wie es
derzeit aussieht, wollen die Liberalen das Risiko, dass es für ein
Plus nicht reichen könnte, gar nicht erst eingehen.

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