WAZ: Stürzt Westerwelle, weil er schwul ist?
– Leitartikel von Ulrich Reitz

Wird der eigentliche Grund für den Niedergang Guido
Westerwelles verschwiegen? Wird er nicht stürzen, weil er Fehler
machte, sondern, weil er homosexuell ist? Der Literatur-Großkritiker
Fritz J. Raddatz weiß, weshalb es um den deutschen Außenminister und
liberalen Parteivorsitzenden geschehen ist: „Nur erfolgreichen
Homosexuellen verzeiht der deutsche Spießer ihre Neigung …“.
Und von Erfolg könne eben bei Westerwelle nicht die Rede sein. Wenn
die tolerante Seele dies (im aktuellen Focus) liest, schreit sie auf.
Schwule Diskriminierung? In Deutschland? 2010/2011? Darf nicht wahr
sein. Oder? Und doch … Dann fällt es einem wieder ein, das
vertrauliche Gespräch mit einem bekennend katholischen Minister,
einem durchaus liberal gesonnenen Menschen. Dass Westerwelle seinen
Lebensgefährten, den Sportvermarkter Michael Mronz, auf Staatsbesuch
mit ins Ausland nehme, „hat meine Mutter nicht verstanden“. Oder der
liberale Minister, selbst hoch angesiedelt in der Hierarchie der
Liberalen: „Man wird schon in der eigenen Partei darauf angesprochen.
Ja, das stimmt.“ Man kann das ja für Einzelstimmen halten, vielleicht
sogar für solche der bedauerlichen Art, aber sie geben ein
verbreitetes Gefühl wieder. Und dann ist da noch diese Umfrage.
„Halten Sie die offen gelebte Homosexualität von Außenminister
Westerwelle für ein Problem bei seiner Amtsführung?“ Das wollte das
Münchner Nachrichtenmagazin wissen. Die Antwort mutet auf den ersten
Blick weltoffen-liberal an: 75 Prozent der Befragten antworten mit
nein. Nur: Was heißt das für die Toleranz unserer Gesellschaft, wenn
jeder Vierte bis Fünfte sagt: Ja, sein Schwulsein ist ein Problem?
Und doch liegt Raddatz falsch. Dass Westerwelle schwul ist und das
offen lebt, ist nicht der eigentliche Grund für seinen Niedergang. Es
ist Westerwelles lautes, demonstratives, Marketing-getriebenes
Auftreten. Dadurch verletzt er über Parteigrenzen hinweg bürgerliches
Stilempfinden. Dadurch hat er sich über die Jahre verbraucht. Fazit:
Nicht Westerwelles Schwulsein an sich, sondern das Schwulsein als
integrativer Bestandteil eines insgesamt exzessiven Politikstils, das
ist Westerwelles Problem. Die Schlussfolgerung ist wichtig:
Westerwelle wird nicht gestürzt, er stürzt sich selbst.

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