Westdeutsche Zeitung: Politischer Aschermittwoch =
von Martin Vogler

Nach dem Weltfrauentag am Dienstag folgte
gestern der Weltstammtischtag. Mit Marschmusik, vollen Maßkrügen und
politischer Volkstümelei, wie sie der Lebenswirklichkeit im Jahr 2011
selbst weit hinter Vilshofen nicht mehr entspricht. Was diese
folkloristisch verbrämten, nachträglichen Büttenreden beim Bürger
anrichten, wissen wir nicht. Hier zwei Deutungsversuche. Die positive
Variante: Die Redner befriedigen beim Politischen Aschermittwoch das
Bedürfnis nach begreifbarer, emotionaler Politik, die von echten
Typen – in diesem Fall eigentlich immer Kerlen – geprägt wird. Es
handelt sich also um wahre Bürgernähe. Negativ formuliert: Die
Derbheit der Attacken steigert die Politikverdrossenheit. Wo so
geholzt wird, engagiert sich kein vernünftiger Mensch. Allerdings
würde der Politische Aschermittwoch ohne Polemik und Bierseligkeit
nicht funktionieren. Nicht nur die „Erfinder“ von der CSU reiten
diese Tour, alle anderen Parteien versuchen einmal im Jahr, ob sie
auch mal Bierzelt-Politik hinbekommen. Wie auch diesmal fallen diese
Versuche zumeist verkrampft bis erbärmlich aus. Doch selbst die CSU,
der in ihrem Selbstverständnis die natürliche Rolle der alles
beherrschenden Staatspartei in Bayern zufällt, tut sich mit der
politischen Folklore zunehmend schwer. Ein Stoiber oder jetzt ein
Seehofer können aus Sicht der harten Fans einen Franz Josef Strauß
und seine wüsten Attacken nicht ersetzen. Doch diesmal hatten alle
Ein-Tages-Populisten dank der Themenlage es wenigstens etwas
leichter. Selbst wenn alle Guttenberg-Witze längst erzählt sind,
deklinierten seine Gegner alle Varianten des Themas genüsslich durch.
Was verständlich und logisch ist. Seehofer hingegen gab es die
willkommene Gelegenheit, zumindest verbal an der Rückkehr des
ehemaligen Verteidigungsministers in die Politik zu arbeiten. Alles
andere hätte ihm die CSU-Basis auch arg verübelt. Guttenberg saß
zumindest virtuell überall mit am Biertisch. Auch die Themen
Integration und deutsche Leitkultur sind zwar in aufgeheizter
Stimmung gefährlich, haben aber Seehofer ebenfalls die Show halbwegs
gerettet. Gerade vor den Landtagswahlen kam er aus Koalitionstreue
nicht darum herum. Bei Franz Josef Strauß hätte das allerdings ganz
anders geklungen.

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