HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zum Ansehen der Politik im Wahlkampf

Ein Kommentar von Jochen Gaugele

Es war ein Augenblick der Unverstelltheit, wie man ihn selten
erlebt in der Politik. Die Ministerpräsidenten der Union hatten sich
im Wahljahr 2002 über alle Maßen empört, weil die Länderkammer das
rot-grüne Zuwanderungsgesetz beschloss. Wenig später offenbarte der
saarländische Regierungschef Peter Müller, die Entrüstung sei nur
Show gewesen. „Legitimes Theater“, wie er es nannte. Diese Woche ließ
sich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle – hält man sich an das
Protokoll des Industrieverbands – zu einer ähnlich wahrhaftigen
Bemerkung hinreißen. Er begründete das Atom-Moratorium der
Bundesregierung vor Spitzenvertretern der Industrie mit den
bevorstehenden Landtagswahlen. Entscheidungen seien da „nicht immer
rational“. Müller konnte nicht dementieren, er hatte öffentlich
gesprochen. Brüderle berief sich, flankiert vom BDI, auf einen
Protokollfehler. Ganz gleich, welche Version die zutreffende ist: Der
Schaden ist immens. Nicht nur für Brüderle und die Regierung, die
sich dem Vorwurf des Wahlbetrugs ausgesetzt sehen. Die
Glaubwürdigkeit der Politik erodiert.

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