General-Anzeiger: Interview des Bonner General-Anzeigers mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

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BONN. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(FDP) hat FDP-Chef Philipp Rösler in Schutz genommen. „Es bringt
nichts, jemanden, der neu im Amt ist, mit seinem Vorgänger zu
vergleichen“, sagte sie in einem Interview dem Bonner
General-Anzeiger. Rösler habe einen „anderen Stil“ als der frühere
Parteivorsitzende Guido Westerwelle. Der 38-Jährige kämpfe „gerne mit
dem feingeschliffenen Wort“. Man solle ihm Zeit geben.
Leutheusser-Schnarrenberger räumte mit Blick auf den Rücktritt
Westerwelles von der Parteispitze ein, dass es in Parteien „auch
manchmal ungerecht“ zugehe, weil die positiven Dinge nach
Wahlniederlagen in den Hintergrund rückten. Sie erinnerte daran, dass
die FDP mit Westerwelle an der Spitze „große Erfolge“ bei den
Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl errungen habe. Wörtlich
fügte sie hinzu: „Guido Westerwelle hat ganz eindeutig seine großen
Verdienste.“

Wortlaut des Interviews:

„Das erschüttert mich“ Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger zum Versagen des Verfassungsschutzes und
zum Zustand ihrer FDP

Frau Ministerin, Abgeordnete der Linkspartei werden überwacht,
während Rechtsextremisten unbehelligt jahrelang morden. Wer schützt
uns vor diesem Verfassungsschutz? Leutheusser-Schnarrenberger:
Rechts- und Linksextremismus gegeneinander auszuspielen, halte ich
für vollkommen falsch. Auch eine Gleichsetzung von Linke und NPD ist
unangemessen. Bei der NPD haben wir ein Programm, das sich durch und
durch gegen unsere Verfassung richtet. Innerhalb der Linken gibt es
Gruppierungen, die Bestandteile unserer Verfassung in Frage stellen.
Das sollten wir sauber unterscheiden, gerade wenn es darum geht,
gewählte Abgeordnete zu überwachen. Das geforderte Verbot der Partei
„Die Linke“ ist völlig abwegig. Mit Blick auf die Zwickauer
Terrorzelle und den Rechtsextremismus müssen wir die Defizite
aufklären und dann die Schwächen in unserer Sicherheitsarchitektur
beseitigen.

Hat Sie das Informationschaos zwischen den Landesämtern und dem
Kölner Bundesamt überrascht? Leutheusser-Schnarrenberger: Mich hat
schon überrascht, dass die Informationen über den
Nationalsozialistischen Untergrund nicht an die Polizei übermittelt
wurden. Und dass der Informationsfluss innerhalb des
Verfassungsschutzverbundes nicht gut funktioniert hat. Bis heute ist
für mich allerdings unvorstellbar, dass zwölf Jahre lang eine
Mordserie passieren kann, ohne dass die Strafverfolgungsbehörden dem
nachgehen konnten. Das erschüttert mich.

Mit Blick auf 32 Landeskriminal- und Landesverfassungsschutzämter
stellt sich die Frage, ob wir hier nicht die Schattenseite des
Föderalismus sehen. Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, zum Teil. Ich
plädiere daher für eine stärkere Konzentration der
Verfassungsschutzbehörden. Man kann stärkere Einheiten auf
Länderebene schaffen, ohne dass der grundgesetzlich garantierte
Föderalismus ausgehebelt wird.

Was wird aus dem diskutierten NPD-Verbotsverfahren? Ist das Thema
gelaufen? Leutheusser-Schnarrenberger: Es befasst sich derzeit eine
Innenminister-Gruppe mit der Frage, ob wir genug verwertbares
Material für ein erfolgreiches Verbotsverfahren haben. Immer dann,
wenn dieses Material führenden V-Männern zuzuordnen ist, ist es nicht
verwertbar. Solange es auf den Führungsebenen von Ländern und Bund
der NPD V-Leute gibt, und zwar nicht wenige, gibt es ein großes
Verfahrenshindernis. Ein Verfahren einzuleiten, das von Anfang an mit
großen Unsicherheiten behaftet ist, können wir uns auf gar keinen
Fall leisten.

Wie groß ist Ihrer Auffassung nach der Imageschaden Deutschlands
im Ausland nach Bekanntwerden der rechtsextremistischen Mordserie?
Leutheusser-Schnarrenberger: Im Ausland ist das sehr aufmerksam
registriert worden. Auch dort gibt es eine Schockstarre und
Entsetzen. Man achtet genau darauf, wie wir mit dem Thema umgehen. Es
ist sehr wichtig, dass wir konsequent aufklären und die richtigen
Schlüsse ziehen.

Themenwechsel: Wenn es um liberale Wählerschichten geht, werden
Sie derzeit von den Grünen und der Piratenpartei in die Zange
genommen. Wie wollen Sie sich daraus befreien?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich stimme Ihrer Analyse nicht zu. Die
Grünen sind nicht die Partei, die sich in ihrer Programmatik an der
Freiheit des Einzelnen ausrichtet. Bei den Grünen ist im Gegensatz
zur FDP der Gedanke beherrschend, dass in einer komplexeren Welt dem
Einzelnen gesagt werden muss, wo es lang geht – durch Verbote und
staatliche Regulierung. Und die Piraten sind Ausdruck eines Protestes
gegen etablierte Parteien insgesamt. Alles soll transparent sein,
lautet das Motto der Piraten. Darüber hinaus haben sie inhaltlich
nicht allzu viel zu bieten.

Machen Sie es sich nicht zu einfach, wenn Sie die Piraten als
Protestpartei abstempeln? Immerhin trifft sie das Lebensgefühl der
immer größer werdenden „Generation Facebook“ …
Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP hat nicht erst mit dem Aufkommen
der Piraten begriffen, wie wichtig das Internet und die sozialen
Netzwerke darin sind – für die Gesellschaft insgesamt, aber auch für
die Parteien.

Sind Sie persönlich bei Facebook aktiv?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe nur einen dienstlichen Account.
Und wenn ich sehe, was die jetzt alles vorhaben, bin ich froh, dass
ich keinen privaten Account habe.

Twittern Sie? Leutheusser-Schnarrenberger: Unregelmäßig über meine
Pressestelle, aber nicht privat. Ich sage ganz ehrlich: Ich fände es
wenig spannend, wenn ich jetzt twittern würde, dass ich beim
General-Anzeiger sitze, einen guten Kaffee trinke …

Danke fürs Kaffee-Kompliment.

Leutheusser-Schnarrenberger: … und vier netten Redakteuren ein
Interview gebe. Das ist doch total banal. Verstehen Sie mich richtig:
Ich finde toll, dass es das gibt. Und es spielt eine Riesenrolle für
viele Menschen, gerade junge. Aber bei meinem Arbeitspensum käme ich
eh kaum dazu. Jeder muss für sich entscheiden, was er da für sich
nutzt und was nicht.

Aber reden Sie nicht wie der Blinde von der Farbe, wenn Sie die
sozialen Netzwerke nicht selbst nutzen, in denen sich auch immer mehr
Ältere tummeln? Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich nicht. Ich bin
seit Jahren ja auch anders im Netz unterwegs. Und politisch gehört
dazu, mit Nutzern über die Probleme zu sprechen: Was passiert zum
Beispiel, wenn private Dinge für jeden erkennbar im Netz stehen? Sie
sprechen die Gefahren an. Vielleicht besteht die Gefahr für Sie
darin, dass die Generation Facebook es nicht besonders attraktiv
findet, wenn Sie die Gefahren stärker in den Vordergrund stellen als
die Chancen. Leutheusser-Schnarrenberger: Klar, zuallerst geht es um
die Chancen. Wenn Sie in eine Schulklasse mit 30 Schülern gehen,
müssen Sie fragen, wer keinen Facebook-Account hat. Das gehört
absolut dazu. Aber man muss auch darauf hinweisen, dass Facebook kein
soziales Unternehmen ist, sondern Geld damit verdienen will. Jeder
muss selbst bestimmen, was er wann und wem von sich preisgibt.

Die FDP befindet sich – nicht zum ersten Mal – in einem
Überlebenskampf. Wie sehr schmerzt Sie das als jemand, der so lange
an vorderster Front dabei ist? Leutheusser-Schnarrenberger: Das
schmerzt schon. Aber es stachelt mich auch an. Dabei geht es nicht um
mich. Es geht darum, dass wir ohne FDP keine Partei hätten, die den
Wert der Freiheit so hoch hält. Wenn es die FDP nicht gäbe, wäre ich
politisch heimatlos.

Wenn wir schon bei den Schmerzen sind: Wie sehr schmerzt es Sie,
wie mit Guido Westerwelle umgegangen wurde?
Leutheusser-Schnarrenberger: Guido Westerwelle hat ganz eindeutig
seine großen Verdienste. Mit ihm haben wir große Erfolge bei
Landtagswahlen und der Bundestagswahl errungen. Dann kam eine Phase
mit den Koalitionsverhandlungen 2009 und schlechteren
Wahlergebnissen, die die Stimmung in der Partei veränderten. Das ist
dann auch manchmal ungerecht, weil die positiven Dinge davor in den
Hintergrund geraten. Guido Westerwelle wurde dann als
Parteivorsitzender abgelöst, aber nicht an den Rand gedrängt. Er
gehört als Bundesaußenminister fest zum Team. Und wir arbeiten auf
vertrauensvoller Basis zusammen.

Ist Philipp Rösler als Parteichef denn besser als Westerwelle?
Leutheusser-Schnarrenberger: Er macht es anders. Es bringt nichts,
jemanden, der neu im Amt ist, mit seinem Vorgänger zu vergleichen.
Jeder hat einen anderen Stil. Er kämpft gerne mit dem
feingeschliffenen Wort. Und er braucht wie das ganze Team an der
Spitze Zeit.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie waren schon ab 1992 unter
Bundeskanzler Helmut Kohl Justizministerin. Um wieviel angenehmer ist
es, unter Angela Merkel zu arbeiten? Leutheusser-Schnarrenberger: Ich
habe ja Frau Merkel als Kabinettskollegin im Kabinett Kohl
kennengelernt, da war sie Umweltministerin. Wir haben uns schon
damals gut verstanden. Ich finde die Atmosphäre heute angenehm und
aufgeschlossen. Frau Merkel ist in allen Themen tief drin – das finde
ich überzeugend.

Hätten Sie es damals für möglich gehalten, dass die junge Merkel
eines Tages Kanzlerin würde? Leutheusser-Schnarrenberger: 1994, 1995
habe ich mir das nicht vorgestellt. Da habe ich aber auch nicht
gedacht, dass die FDP elf Jahre in die Opposition muss, bevor es zu
einer Neuauflage von Schwarz-Gelb kommen kann. Aber dass Angela
Merkel die Fähigkeiten für herausragende Ämter hat, konnte man damals
schon sehen.

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Lutz Warkalla
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