Ein Kommentar von Karl Günther Barth
Es waren ganz große Worte, ganz ohne falsches Pathos, wie es bei
ähnlichen Gelegenheiten nur zu gerne passiert. Bundeskanzlerin Angela
Merkel hat bei der Gedenkfeier für die Opfer des Rechtsterrors die
Mordanschläge eine „Schande für unser Land“ bezeichnet. Für dieses
Land, für diesen Staat, und damit für uns alle, hat sie die
Hinterbliebenen um Verzeihung gebeten für die falschen
Verdächtigungen, denen sie sich jahrelang ausgesetzt sahen. Aber
reicht das? Gut, Polizei und Justiz ermitteln mittlerweile
fieberhaft. Aber hat sich nur die Beweislage geändert oder auch was
in den Köpfen – nicht nur in denen der Ermittler? Denn das ist das
eigentliche Problem, das auch nicht durch eine noch so beeindruckende
Gedenkfeier gelöst werden kann. Das ist jener alltägliche Rassismus,
der immer mehr und immer normaler vorkommt. Zu besichtigen ist er bei
den Ewiggestrigen von der NPD und den sogenannten Kameradschaften in
ihrem Dunstkreis. Rechtsextremisten, die zum Beispiel in Teilen von
Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen in unserer Gesellschaft, wie die
Fische im Wasser schwimmen und es bis in die Kommunal- und
Landesparlamente geschafft haben. Sie engagieren sich in Schulen und
Vereinen, um als vermeintlich gute Neonazis akzeptiert zu werden –
und um dabei ganz nebenher gezielt Fremdenfeindlichkeit und
Ausländerhass zu schüren. Toleranz, hat die Kanzlerin gesagt, sei
fehl am Platze. Null Toleranz kann es da nur heißen. Gab es nicht
auch klammheimlichen Beifall, als jenen Teilen der Zivilgesellschaft
die Mittel gekürzt wurden, die Neonazis die Stirn bieten wollten?
Mancher hat doch insgeheim geseufzt, wenn etwa engagierte Vereine
gegen Rechtsextremismus Unterstützung einforderten: Die schon wieder!
Fast 67 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft scheint es in
Deutschland immer noch schwer zu sein, aus dem Wissen um die deutsche
Vergangenheit politisches Bewusstsein und Verantwortung dauerhaft zu
entwickeln. Für seinen Satz, die Deutschen sollten den 8. Mai 1945
nicht als Tag der Kapitulation sehen, sondern als Tag der Befreiung
von der Nazi-Herrschaft ist Richard von Weizsäcker berühmt geworden.
Der damalige Bundespräsident, ein Konservativer, hat in einem heute
weithin unbekannten Teil der Rede die jungen Deutschen aufgefordert,
sich nicht in einen Hass gegen Juden oder Türken hineintreiben zu
lassen. Weizsäcker hielt diese Rede 40 Jahre nach dem Ende der
Nazi-Herrschaft und damit nur wenige Jahre, bevor in Solingen (1993)
und Mölln (1992) türkische Häuser in Flammen aufgingen – und immerhin
15 Jahre bevor die Zwickauer Neonazi-Zelle mit ihrer Mordserie
begann. Damals gab es auch noch keinen Thilo Sarrazin, der die Säle
füllte und gegen eine angebliche Überfremdung zu Felde zog. Es reicht
auch nicht, die NPD zu verbieten. Wir müssen den Kampf um die Köpfe
gewinnen – und den Ausländern, nicht nur den Türken, jenen Schutz
bieten, den sie als unsere Mitbürger verdienen. Das ist die wahre
Botschaft der Gedenkfeier von Berlin. Die Angehörigen der Opfer haben
das verstanden. Sie sprachen nicht von Entschädigung, sondern von
Gemeinsinn und Zugehörigkeit. Hoffentlich haben ihnen viele zugehört.
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