BERLINER MORGENPOST: Berliner Blockade / Leitartikel von Hajo Schumacher

Vor zehn Monaten wehte ein Hauch von Hoffnung durch
die Hauptstadt. Die Grünen mit ihrer Frosch-Perspektive hatten sich
vom Regieren verabschiedet, nun versprach eine große Koalition die
politische Energiewende. Ein besonnener CDU-Chef schien dem
Regierenden wieder Spaß an der Macht zu geben, mit vereinter Kraft
sollten Wirtschaft angetrieben, Jobs geschaffen und neue Schulden
minimiert werden.

In Rekordzeit hat das Regierungsbündnis sein Projekt Aufbruch
ruiniert. Gemeinsam haben die Anführer von SPD und CDU eine Berliner
Blockade geschaffen; beide sind bis auf Weiteres nur bedingt
handlungsfähig. Während zunächst nur Bürgermeister Klaus Wowereit mit
dem BER-Desaster beschäftigt war, hat Innensenator Henkel nun
gleichgezogen. Verhakt in einem Misstrauensverhältnis zu einer
Polizeichefin, hat sich der kleine Koalitionspartner mit dem
NSU-Durcheinander ebenfalls eine Baustelle geschaffen, die
politisches Fortschrittshandeln stark einschränkt. Und der hässliche
Verdacht keimt, dass die beiden Senatoren-Auswechslungen eben doch
nicht nur Unfälle waren, sondern Ergebnis luschiger Personalpolitik.
So drehen die beiden Motoren der Koalition zwar auf Hochtouren, aber
nur, um das eigene Überleben zu retten. Was Wowereit in seiner
störrischen SPD bereits durchmachte, droht nun auch Henkel –
anschwellendes Grummeln der Partei. Die Koalitionsräson führt
wiederum zu einem schrecklich sanften Umgang miteinander, wo mächtige
Opposition gefragt wäre. Hier glänzen ausgerechnet die Grünen mit
ausdauerndem Nachfragen.

Die Bilanz nach nicht mal einem Jahr großer Koalition ist
verheerend, die Versprechen von damals schon jetzt zum Teufel. Ein
kraftvoller Senat hätte es womöglich geschafft, den Abzug der
Lufthansa nach Köln zu verhindern und 3000 Jobs in Berlin zu halten.
Wenn aber die Spitzenleute und ihre sperrige Wirtschaftssenatorin vor
allem mit Krisenmanagement befasst sind, kommt aktive Standortpolitik
zwangsläufig zu kurz. Ähnlich verhält es sich mit dem Vorhaben, 2016
einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Die unkalkulierbaren
Zusatzkosten für BER dürften diesen Plan erledigen. Dankbar hätten
die Berliner sein müssen, wenn das erste Jahr der neuen Regierung
wenigstens Stillstand gebracht hätte. Aber es kam schlimmer.

Die Lehre aus Berlin: Eine große Koalition führt nicht automatisch
zu großer Politik. Gleichwohl favorisiert derzeit die Mehrheit der
Deutschen ein Bündnis der beiden Großen nach der Bundestagswahl 2013,
auf dass mal wieder so richtig durchregiert werden könne. Trügerische
Romantik. Das Gegenteil ist richtig: Knappe Mehrheiten und starke
Opposition sorgen für Vorsicht und Sorgfalt und Konzentration bei den
Regierenden. Die große Koalition sollte eine Option für kritische
Zeiten bleiben, wenn nichts mehr geht. Berlin wäre insofern langsam
reif für so ein Notfall-Bündnis. Aber das hat sich bereits im Alltag
verschlissen.

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