BERLINER MORGENPOST: Der mächtige Misstrauenstrend /Leitartikel von Hajo Schumacher

Natürlich hat kein Mensch wirklich geglaubt, dass
der Radprofi Lance Armstrong seine Tour-Siege sauber errungen hat.
Aber der Restromantiker in uns hat ein klein wenig gehofft, dass der
einstige Superstar vielleicht doch Opfer von Intrigen geworden sein
könnte. Natürlich erwartet kein Berliner, dass der Superflughafen BER
im nächsten März eröffnet wird. Auf Facebook hat sich eine Gruppe
gebildet, die zur Eröffnungsparty im Jahre 2026 lädt. Zehntausende
haben sich bereits angemeldet. Jede weitere Pressekonferenz nährt nur
ein Gefühl: Volksverdummung ohne Rücksicht auf Verluste. Mit dem
Biosprit verhielt es sich ein wenig anders. Es gab tatsächlich
Optimisten, die glaubten, man könne deutsche Äcker in Rapsölfelder
verwandeln – der Bauer als Scheich 2.0. Regierungen aller Farben
sorgten in einmütiger Naivität für einen historischen Umbau deutscher
Landschaften. Inzwischen schwant uns, dass es weder ökonomisch noch
ökologisch klug sei, Lebensmittel lastwagenweise quer durchs Land zu
fahren, zu zermanschen und damit 300-PS-Autos zu befeuern. Wohin der
Blick auch schweift, überall darf der Bürger sich veräppelt fühlen.
Ob Böswilligkeit, Unfähigkeit oder schlichte Blödheit, das Ergebnis
bleibt das gleiche: Vertrauensschwund. Zockende Banken, vertuschende
Kirchen, Organ-Bingo oder Polizisten, die mit Neonazis
zusammenarbeiten – die Bürger trauen ihren Eliten nicht mehr über den
Weg. Wo früher Kritik geübt wurde, ist höhnisches Lachen geblieben.
Es genügt, sich irgendeine Bankenwerbung anzuschauen oder eine Liste
der Statements führender Grüner zum Segen des Biosprits, gern auch im
Zusammenhang mit der anschwellenden weltweiten
Nahrungsmittelknappheit. Wo ist die Bank, der Politiker, der
Sportler, der Planer, der sagt: Sorry, aber wir haben echt Mist
gebaut? Gibt es nicht. Stattdessen Marketingfeuerwerk. Wie sich
frühere Eliten durch fernsehgerechte Überberatung schrittweise in
Figuren eines Computerspiels verwandeln, ist hübsch am US-Kandidaten
Mitt Romney zu sehen. Irgendwann werden wir die Antenne entdecken,
über die der Mann gesteuert wird. Was bleibt, ist der Verdacht, dass
jeder, der es hinter die Kulissen von Staat und Gemeinwesen geschafft
hat, dort sein schmutziges Spielchen spielt. Diese Annahme ist höchst
unfair allen integren Eliten gegenüber, spiegelt aber wider, was
fehlt. Was Säugling und Mutter zusammenhält, das braucht auch eine
Gesellschaft; dieses Urvertrauen, dass es da etwas gibt, was uns
zusammenhält, ein gemeinsames Ziel, ein kollektives Bewusstsein, wie
die beiden ungleichen Schwestern Sicherheit und Freiheit zu zähmen
sind, dass jeder sich nach seiner Fasson entfalten kann, aber
möglichst wenige auf der Strecke bleiben. Ob dieser mächtige
Misstrauens-Trend durch eine Ruckrede des Bundespräsidenten
umzudrehen ist? Wohl kaum. Was bleibt? Allenfalls der Versuch eines
jeden, in der Familie, im Freundeskreis, im Job dafür zu sorgen, dass
die Regeln guten Zusammenlebens wenigstens im kleinen Kreis
eingehalten werden.

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