BERLINER MORGENPOST: Ein anderer Blick auf die Stadt Leitartikel von Andreas Abelüber die Frage, wie kinderfreundlich Berlin tatsächlich ist.

Weltoffen, kreativ, aufregend – das sind gängige
Attribute, wenn Menschen positiv über unsere Stadt sprechen. Der
Begriff „kinderfreundlich“ fällt da eher selten. Und doch sagen
gerade junge Neu-Berliner, etwa aus den USA, es seien vor allem die
guten Bedingungen, um Kinder zu bekommen und großzuziehen, die sie
angelockt hätten. Die medizinische und soziale Betreuung werdender
Mütter, Elterngeld, Elternzeit und finanziell erschwingliche
Kitaplätze, selbst in zweisprachigen Kindergärten – all das gebe es
in Amerika in dieser Form nicht, auch nicht nach Barack Obamas
Reformprogrammen.

Ausländer loben also unsere Kinderfreundlichkeit, die wir selbst
Berlin gern absprechen. Sehen sie ihre neue Heimat mit einer
rosaroten Brille oder sind wir zu mäkelig? Das ist nicht die zentrale
Frage, obwohl es bisweilen hilfreich ist, in den alltäglichen
Debatten über politisches Klein-Klein auch mal auf Menschen zu hören,
die etwas unverstellter auf unser Gemeinwesen blicken. Wichtiger ist,
den Blick darauf zu lenken, was Berlins Stärken sind, was gestützt
und ausgebaut gehört und nicht weggespart werden darf.

Es ist eigentlich banal, zu betonen, wie wichtig Kinder für unsere
überalterte Stadt sind. Und doch muss sich der Senat fragen – und
fragen lassen -, ob er die Schwerpunkte richtig setzt. Die
Bildungsverwaltung sagt zum Beispiel, dass Eltern, die ab August
ihren Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz in Anspruch nehmen wollen,
optimistisch sein können. Es seien ausreichend Plätze vorhanden. Nur
ist das eben längst nicht überall in Berlin der Fall. In einigen
Stadtteilen kommen 24 Bewerber auf einen Kitaplatz. Hier muss durch
Aus- oder Neubau dringend gegengesteuert werden.

Ein anderes Manko betrifft die Grundschulen. In etlichen Bezirken
ist die Lage so angespannt, dass kurzfristig Behelfsbauten errichtet
werden müssen. Es ist kaum zu verstehen, dass diese Misere erst so
spät erkannt wurde, schließlich sind die Kinder im schulpflichtigen
Alter ja nicht vom Himmel gefallen. Vollends unverständlich ist dann
aber, wie schwer es oft Bezirkspolitikern gemacht wird, ihre
Ansprüche – und die der Eltern – beim Senat durchzusetzen. Wundert
sich da noch jemand ernsthaft, dass viele Eltern der Debatte um den
Neubau einer Zentral- und Landesbibliothek kopfschüttelnd
gegenüberstehen?

Die Kinderfreundlichkeit einer Stadt bemisst sich allerdings nicht
nur daran, wie gut oder schlecht eine Landesregierung für Familien
sorgt. Die Zukunft Berlins ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Sie betrifft Investoren im Wohnungsbau und Vermieter, die mit dafür
sorgen müssen, dass das Wohnen für Familien hier attraktiv und
bezahlbar bleibt. Sie betrifft Unternehmen, die für Ausbildungsplätze
sorgen müssen, zumal der Bedarf an Fachkräften heute schon in vielen
Branchen eine Bedrohung darstellt. Die Frage, wie kinderfreundlich
Berlin ist, stellt sich aber auch tagtäglich in der Nachbarschaft. Es
wäre schon viel gewonnen, wenn Anwohner nicht vor Gericht zögen, weil
sie der Lärm vom Spielplatz nebenan nervt.

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