Es ist kaum zu glauben: Am Dienstag musste die
Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, einräumen,
dass es noch eine schwere Panne bei ihrem Dienst gegeben hatte.
Bereits im Juli 2010 waren Unterlagen zum Rechtsextremismus, so zur
verbotenen Organisation Blood & Honour, geschreddert worden. Als
„mehr als bedauerlich“ bezeichnete Schmid vor Journalisten die
Aktenvernichtung. Bedauerlich? Wohl eher unverzeihlich.
Claudia Schmid leitet den Verfassungsschutz in Berlin seit vielen
Jahren. Im Jahr 2000 wurde das Amt nach zahlreichen Skandalen vom
damaligen Innensenator Eckart Werthebach (CDU) aufgelöst und in die
Senatsinnenverwaltung integriert. Eine richtige Entscheidung, denn
durch die direkte Kontrolle kehrte Ruhe ein. Doch die kann, wie wir
in diesen Tagen lernen, auch trügerisch sein. Denn eigentlich muss
eine Leiterin wissen, was ihre 200 Mitarbeiter tun. Zumal es ja nicht
so ist, dass der Berliner Verfassungsschutz in Arbeit versinkt. Die
200 Leute werten Akten aus, führen V-Männer, schreiben Berichte.
Deshalb stellen sich jetzt viele Fragen: Wie können Akten an Claudia
Schmid vorbei vernichtet werden? Wieso wurden vor allem Unterlagen
zum Rechtsextremismus geschreddert? Was hat der Verfassungsschutz
eigentlich seit Bekanntwerden der Mordserie des Terrortrios
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gemacht? Noch im Frühjahr
wurde behauptet, es gebe keinen Bezug der NSU zu Berlin. Inzwischen
wissen wir, dass polizeiintern im März dieses Jahres bekannt wurde,
dass die Berliner Polizei einen V-Mann mit Kontakten zum NSU-Trio
geführt hatte. Die Abgeordneten und die Öffentlichkeit erfuhren davon
erst im September. In der vergangenen Woche wurde dann bekannt, dass
beim Berliner Verfassungsschutz Akten zum Rechtsextremismus
vernichtet worden waren – ob diese einen Bezug zum NSU hatten, ist
noch unklar. Und als ob das nicht schlimm genug wäre: Claudia Schmid,
die Chefin des Verfassungsschutzes, erfuhr davon Anfang Oktober, im
Urlaub. Wir leben zwar nicht mehr in Zeiten, in denen Nachrichten
getrommelt werden, sondern im 21. Jahrhundert, wo man mit Smartphone
und E-Mail rund um die Uhr erreichbar ist, doch Schmid entschied, den
Innensenator erst eine Woche später, nach ihrer Rückkehr zu
informieren. Und der ließ sich dann nochmals drei Wochen Zeit, bevor
die Abgeordneten über diese Panne unterrichtet worden. Und am
Dienstag musste Schmid dann den nächsten Fehler beichten.
Durch das NSU-Terrortrio, das mordend durch die Republik ziehen
konnte, ist das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden nachhaltig
erschüttert worden. Die schweren Pannen in Berlin tragen dazu bei,
dass die Menschen den Sicherheitsbehörden noch weniger trauen – sei
es dem Verfassungsschutz oder der Polizei. Für all diese Pannen muss
jemand Verantwortung übernehmen. Wenn Akten zum Rechtsextremismus
vernichtet werden, ohne dass die Chefin das weiß oder eingreift, wenn
sie den Senator viel zu spät informiert, dann muss Claudia Schmid
zurücktreten. Besser heute als morgen.
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