BERLINER MORGENPOST: Es geht um die Wahlfreiheit Leitartikel von Dorothea Siemsüber den Plan der CDU, nach der Bundestagswahl das Kindergeld zu erhöhen.

Seit Jahren streiten die Deutschen darüber, ob die
200 Milliarden Euro, die der Staat hierzulande Ehepaaren und Familien
gewährt, gut angelegt sind. Dass nicht nur die zuständige
Ressortchefin Kristina Schröder, sondern auch Finanzminister Wolfgang
Schäuble – der sich sonst ungern spendabel gibt – hier keinerlei
Einsparpotenzial sieht, mögen viele Steuerzahler bedauern. Doch der
Löwenanteil der Summe ist gar nicht politisch veränderbar, sondern
dient lediglich der verfassungsrechtlich gebotenen fairen Besteuerung
von Familien. Das gilt sowohl für das Ehegattensplitting als auch für
den Kinderfreibetrag und den größten Anteil des Kindergeldes. Auch
die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern bei den Krankenkassen
oder die Witwen- und Waisenrenten sind nicht disponibel.

Erst dieser finanzielle Familienlastenausgleich im Verbund mit dem
in den letzten Jahren forcierten Ausbau der Krippen und
Ganztagsschulen macht es Eltern möglich, ihr Leben nach eigenen
Vorstellungen zu gestalten. Die bürgerlichen Parteien stellen diese
Wahlfreiheit zu Recht in den Mittelpunkt. Es geht den Staat nichts
an, wie sich die Partner Erwerbsarbeit und Familienaufgaben
untereinander aufteilen. Mütter – noch sind es seltener die Väter -,
die für die Betreuung ihrer Kinder oder die Pflege von Angehörigen
beruflich kürzertreten, sind keineswegs rückständig, sondern leisten
einen ebenso wertvollen Beitrag wie diejenigen, die mehr Zeit im
Beruf verbringen. Opposition und Wirtschaft drängen, die öffentlichen
Mittel in Zukunft vor allem in den Ausbau der Ganztagsbetreuung von
Kindern zu stecken. Dann aber würde das Familienleben hierzulande
sehr viel eintöniger, als es heute ist. Überdies geht es in der
Familienpolitik um sehr viel mehr, als nur darum, Eltern möglichst
effektiv in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Jahrzehntelang gab es in Westdeutschland aufgrund fehlender
Betreuungsmöglichkeiten de facto für das Gros der Mütter einen Zwang,
dauerhaft aus dem Beruf auszusteigen, sobald das erste Kind kam. In
Ostdeutschland wurden die Frauen dagegen an der Arbeitsfront benötigt
und deshalb gedrängt, ihren Nachwuchs schon früh für lange Stunden
und mitunter gar für mehrere Tage in fremde Hände zu geben. In beiden
Welten nahm man auf die individuellen Bedürfnisse von Eltern und
Kindern wenig Rücksicht. Wenn Kritiker der heutigen Familienpolitik
vorwerfen, mit 156 unterschiedlichen Leistungen mal die
Berufstätigkeit der Frauen und mal die traditionelle Arbeitsteilung
zu fördern, zeugt dies von einer Wunschvorstellung, dass alle
Familien gefälligst im Gleichschritt marschieren sollten. Wieder will
man insbesondere den Müttern vorschreiben, wie sie zu leben haben.
Das aber ist rückwärtsgewandte Familienpolitik, die nicht zu einer
liberalen Gesellschaft passt. Zukunftsgewandt ist es jedoch auch
nicht, Eltern im Wahlkampf immer neue Leistungen zu versprechen.
Schließlich profitieren von einer soliden Haushaltspolitik gerade die
Kinder und Kindeskinder.

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