BERLINER MORGENPOST: Kommentar zum Versagen der FDP als Regierungspartei

Das letzte Jahrzehnt geriet zum Triumphzug der
Elektronikmärkte. Mit nervig viel Reklame und Slogans, die von „Geiz
ist geil“ zum noch entleerteren „Geil ist geil“ mutierten, wurden die
Kunden gelockt. Das Versprechen lautete: Da gibt–s was umsonst; wer
hier kauft, der kombiniert Schnippchen und Schnäppchen. Viele
Elektronikmärkte stecken derzeit in der Krise. Allem Reklamedruck zum
Trotz hat sich herumgesprochen, dass es auf dieser Welt nichts
geschenkt gibt, nicht mal Flachbildschirme. Die Discounter begegnen
der Flaute mit hektischen Service-Versprechen, Beratung, Lieferung,
Hilfe beim Anschluss. Unter dem Vorsitz von Guido Westerwelle hat die
FDP die Geschichte der Elektronikmärkte gleichsam nachgespielt. Die
Partei, die in ihren besten Zeiten das Liberale, eines der edelsten
Versprechen jeden demokratischen Gemeinwesens, für viele
Lebensbereiche durchdeklinierte, ist im Westerwelle-Jahrzehnt zum
politischen Discounter geworden. Das Versprechen, die Steuern spürbar
zu senken, bescherte der FDP 2009 ihren größten Erfolg, fast 15
Prozent bei der Bundestagswahl. Die Kunden haben der
Westerwelle-Partei eine Chance gegeben. Verschenkte Stimmen. In
Zeiten von Finanz- und Eurokrise, wenn Bildung, Pflege und
ökologischer Umbau Unmengen von Geld verschlingen, hat sich das
Steuersenkungs-Mantra als Märchen erwiesen. Nicht einmal die
Light-Version, Schutzmacht der Steuerzahler, wurde geliefert. Die
Kanzlerin konnte das Geld der Bürger seit 2009 nach Belieben
verteilen – beim Koalitionspartner regte sich keinerlei Widerspruch.
In der Dreifachrolle als Parteichef, Vize-Kanzler und Außenminister
war Guido Westerwelle heillos überfordert, zumal die FDP-Zentrale
nach dem Wahlsieg vereinsamt leer stand. Alle hatten sich davon und
aufgemacht in schicke Ämter. Der Wechsel von Generalsekretär Dirk
Niebel ins Entwicklungshilfeministerium, das eigentlich abgeschafft
werden sollte, illustrierte am eindeutigsten, worum es Westerwelles
Mannschaft ging: Nach elf Jahren Darben in der Opposition bedeutete
der Triumph von 2009 nicht den Anfang von liberaler Politik, sondern
ihr Ende. Der Sieg war das Ziel, danach kam bloß Leere. Es regierte
der Stolz, es geschafft zu haben. Westerwelle, dem seit jeher
allseits Skepsis entgegengeschlagen war, auch aus der FDP selbst, hat
den Wandel vom krawalligen Haufen hin zu einer verantwortungsvoll
agierenden Regierungspartei nicht hinbekommen. Es fehlte zuverlässige
Programmatik, ein innerer Kompass, das Personal und auch die
Ernsthaftigkeit. Nach zehn Jahren Westerwelle ist die FDP nun wieder
dort gelandet, wo sie bei seinem Dienstbeginn stand – im tristen
Dasein einer Pluminus-fünf-Prozent-Partei. Ein Vorsitzender aber, der
Wahlerfolge auf Sicht gefährdet, der muss gehen. Weil die Funktionäre
es so wollen, aus nackter Existenzangst. Insofern ist Westerwelle
nicht Opfer einer Intrige geworden, sondern der eigenen
Perspektivlosigkeit. Sein Nachfolger muss nun erledigen, was
seinerzeit versäumt wurde: den liberalen Gedanken neu zu beleben, mit
mehr als Schnäppchen-Ideologie, womöglich ab 2013 wieder in der
Opposition. Die schlechte Nachricht: Das wird eine Weile dauern. Die
gute: In einem Deutschland, wo nurmehr staatsgläubige
Wunschkonzert-Parteien regieren, stehen die Chancen für echte, kluge,
mutige Liberale exzellenter denn je.

Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de