von Hennning Baethge
Sigmar Gabriel hat ja Recht: Nach dem 23-Prozent-Desaster bei der
Bundestagswahl 2009 hat kaum jemand der SPD zugetraut, zwei Jahre
später schon wieder gute Aussichten auf die Machtübernahme in Berlin
zu haben. Die Umfragen schüren diese Hoffnung – und auf den ersten
Blick scheint es auch Mut zu machen, dass die Sozialdemokraten bei
allen acht Landtagswahlen seither in die Regierung gekommen sind oder
zumindest in der Regierung geblieben sind. Parteichef Gabriel
jedenfalls betonte diese Ergebnisse gestern auf dem Parteitag
freudig.
Ganz so rosig sieht es allerdings bei genauerem Hinsehen nicht
aus. Denn Gabriels Bilanz täuscht darüber hinweg, dass die guten
Perspektiven vor allem der unglaublichen Schwäche der
Regierungsparteien Union und FDP zu verdanken sind – und weniger der
Stärke der SPD. Das verdeutlicht ein zweiter Blick auf die
Landtagswahlen: Nur bei drei der acht Wahlen konnten die
Sozialdemokraten nennenswert Stimmen hinzugewinnen. Bei vier verloren
sie dagegen spürbar. Das ist umso alarmierender, als Gabriel sich
nicht darauf verlassen kann, dass Union und FDP auch in zwei Jahren
noch ein so desolates Bild abgeben wie bisher. Zwar scheint eine
Wende zum Besseren derzeit schwer vorstellbar – doch die politische
Konjunktur ändert sich oft schnell.
Die SPD muss also aus eigener Kraft wieder für eine möglichst
breite Mitte der Wähler attraktiv werden. Inwieweit sie das schaffen
und Gabriels gestern beschworenes Rezept „Mitte-Links“ zum Erfolg
führen kann, wird sich heute schon an den Steuerbeschlüssen zeigen.
Die von der Parteiführung vorgeschlagene Erhöhung des
Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent wäre wohl kein Hindernis auf dem
Weg zu diesem Ziel – sie ist ja nicht mal mehr für die Betroffenen
ein Schreckgespenst, weil die meisten Gutverdiener längst bereit
sind, einen etwas höheren Beitrag für den Schuldenabbau und bessere
Bildung zu leisten. Sollte der linke Flügel sich allerdings
durchsetzen und der Spitzensteuersatz die psychologisch wichtige
Schwelle von 50 Prozent überschreiten, würde die SPD überreizen –
und sich das Leben selbst unnötig schwer machen.
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