Lausitzer Rundschau: Warum Grün? Die Kandidaten-Urwahl der Partei lässt viele Fragen offen

Vorsicht. Die Urwahl bei den Grünen ist nicht nur
ein tolles Zeichen von innerparteilicher Demokratie gewesen, wie die
beiden frisch gewählten Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin
Göring-Eckardt jetzt glauben machen wollen. Zur Wahrheit gehört auch:
Diese tolle innerparteiliche Demokratie hinterlässt
Kollateralschäden, von denen sich die Grünen vielleicht nicht so
rasch erholen werden. Denn vier machthungrige Politiker sind nicht in
der Lage gewesen, die Frage einer Spitzenkandidatur im politischen
Konsens zu lösen. Deswegen hat die Urwahl überhaupt stattgefunden.
Und deswegen sind jetzt mit Parteichefin Claudia Roth und der
Fraktionsvorsitzenden Renate Künast zwei Vollblutpolitikerinnen
maximal beschädigt worden. Gerade für Claudia Roth ist das bitter,
nicht nur, weil ausgerechnet sie die Wahl forciert hat. Sie ist die
Frau, die Grün wie keine andere lebt. Sie muss sich jetzt gut
überlegen, ob sie trotz der Demütigung kommende Woche auf dem
Parteitag erneut als Vorsitzende antreten wird. Renate Künast
hingegen hat die Zeichen der Zeit schlichtweg ignoriert – nach der
vermasselten Berlin-Wahl musste ihr eigentlich klar gewesen sein,
dass viele in der Partei ihrer überdrüssig geworden sind. Künast wird
nach der Bundestagwahl wohl kaum Fraktionsvorsitzende bleiben. Das
alles hätten sich die Grünen aber durchaus ersparen können.
Verantwortlich für die Demontage zweier Führungskräfte sind die
Unlust zum Kompromiss und die Selbstüberschätzung der grünen
Führungsriege in punkto Aufstellung für die Bundestagswahl. Kanzler
wird keiner werden. Punkten können die Grünen nur im Team, und wie
das aussehen könnte, steht mehr denn je in den Sternen. Diese Wahl
hinterlässt damit einen extrem faden Beigeschmack. Die Frage ist
jetzt, was die beiden Sieger mit ihrem Kandidaten-Amt anfangen
werden. Gewiss, mit Göring-Eckardt verbindet sich auch ein klares
Signal der Basis: Man will die Erneuerung. Wobei die Ostdeutsche
genauso zum grünen Establishment gehört wie die anderen an der
Parteispitze. Seit der Wende hat sie in vielen, herausragenden Ämtern
grüne Politik gestaltet. Dass Göring-Eckardt dennoch als frische
Alternative gesehen wird, liegt daran, dass sie für ein neues, grünes
Milieu steht, welches in der Partei zunehmend die Oberhand gewinnt.
Gemeint sind damit diejenigen, für die bürgerlich zu sein keine
Beleidigung und kein Verrat an Idealen mehr ist; es sind die, die
Realismus und nicht politische Spinnerei erwarten. Göring-Eckardt hat
keine Berührungsängste. Auch nicht zur Union hin. So wie viele
Neu-Grüne auch. Und die Kirchenfrau hat keine linke Vorgeschichte wie
ihr Mitstreiter Jürgen Trittin, der sich sowieso längst zum
unangefochtenen Pragmatiker der Macht gewandelt hat. Mit dieser Wahl
haben die Grünen den endgültigen Schritt in die politische Mitte
vollzogen. Genau darin liegt aber auch die Gefahr. Das Problem für
Göring-Eckardt und Trittin bleibt, dass die meisten klassischen
Themen der Partei längst von den anderen adaptiert worden sind. In
der Mitte tummeln sich alle. Warum sollte man daher Grün wählen?
Diese schnöde Frage wird für das neue Duo schwer zu beantworten sein.

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