Deutschland wird das Gespenst nicht los. Erst
voriges Jahr kippte das Bundesverfassungsgericht die Berliner
Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Gestern nun
die unmissverständliche Drohung aus Brüssel: Wenn Deutschland sich
nicht schleunigst an die Durchführung der Richtlinie macht, droht ein
Vertragsverletzungsverfahren. Was eindeutig klingt, steckt voller
Widersprüche. Denn die EU-Kommission kündigte gestern an, die
Richtlinie aus dem Jahr 2006 wegen ihrer zahlreichen Mängel
überarbeiten zu wollen. Berlin muss jetzt die Chance nutzen und
Einfluss nehmen. Wie man sich gegenseitig das Leben schwer macht,
zeigen derzeit Brüssel und Berlin. Anlass ist die umstrittene
Vorratsdatenspeicherung. Während Brüssel trotz Kritik am eigenen
Gesetz in Deutschland auf eine Umsetzung pocht, blockiert sich die
Berliner Koalition gegenseitig. CDU/CSU drängen auf eine rasche
Umsetzung der EU-Richtlinie, die FDP will hingegen erst einmal
abwarten. Das Hin und Her macht das europäische Durcheinander um die
Datensammelei perfekt. In Tschechien und Rumänien haben die
Verfassungsgerichte das Gesetz ebenfalls gekippt, Schweden weigert
sich komplett die Vorschriften einzuführen. Und in den übrigen
Staaten herrscht bezüglich Speicherdauer, Zugriffsrechte und
Regelungen für Provider Chaos. Jeder nutzt seinen Spielraum maximal
aus, von Harmonisierung keine Spur. Klar, dass dies der EU-Kommission
missfallen muss. Denn wenn sowieso jeder macht, was er will, wozu
braucht es dann ein EU-Gesetz? Die Behörde will nun gegensteuern und
kündigte gestern eine Neuauflage der Richtlinie an. Dennoch muss nach
dem Nutzen solcher Vorschriften gefragt werden. Denn dass mithilfe
der gespeicherten Daten terroristische Aktionen oder schwere
Verbrechen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität aufgeklärt
wurden, konnte Brüssel bis jetzt nicht ausreichend belegen.
Statistiken gibt es keine. Zwar zitiert die Behörde Mitgliedsstaaten,
die Fahndungserfolge dank der gespeicherten Daten vermeldeten. Doch
welche Rolle diese Daten konkret bei der Aufklärung der Verbrechen
gespielt haben, bleibt unersichtlich. Unklar ist damit auch, ob die
Informationen auf anderem Weg hätten beschafft werden können. Die
Datenspeicherei ist nicht verhältnismäßig. Dieser Widerspruch wird
sich auch durch eine Neuauflage nicht lösen lassen. Lediglich klarere
Vorschriften bei den Zugriffsrechten, Speicherdauer sowie dem
Datenschutz werden wohl kommen. Man darf sich nichts vormachen: Die
Mehrzahl der EU-Mitgliedsländer will die Vorratsdatenspeicherung, die
als Reaktion auf die Terroranschläge auf die Madrider und Londoner
U-Bahnen vorgeschlagen wurde. Sie haben 2005 das Gesetz regelrecht
eingefordert. Dass es im Übereifer mit zu heißer Nadel gestrickt
worden ist, hat sich nun gezeigt. Nichtsdestotrotz wollen
EU-Kommission und Mitgliedsstaaten daran festhalten. Damit steht die
Bundesregierung vor einem großen Problem. Denn das Kabinett hat
darüber noch keine gemeinsame Linie gefunden. Während die
Unionsparteien lieber heute als morgen die Richtlinie umgesetzt
hätten, spielt die FDP auf Zeit. Man müsse den EU-Zwischenbericht
abwarten, eventuell werde die Richtlinie gekippt, so die liberale
Justizministerin. Nun liegt der Bericht vor und spielt der Union in
die Hände. Doch Jubelschreie sind fehl am Platz. Denn solange sich
die Koalition gegenseitig blockiert, kann sie auf die Neufassung aus
Brüssel keinen Einfluss nehmen. Damit vertut sie eine wichtige
Chance. Denn dass das Gesetz kommen wird steht außer Frage.
Deutschland muss sich nun für höchstmögliche Bürgerverträglichkeit
und Datenschutz einsetzen.
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