Mittelbayerische Zeitung: Denkwürdiger Entschluss
Leitartikel zum Atomausstieg

In einer der vielen grandiosen Cartoons von
Gary Larson sitzt der Prophet, zu erkennen am Bart, in seinem
Wohnzimmer und liest Zeitung, als draußen vor der Tür der Berg an der
Tür läutet. Es ist ein wenig wie die Energiewende mit der
schwarz-gelben Koalition. Der Prophet kam nicht zum Berg, also musste
der Berg sich auf den Weg machen. Drei Monate ist es her, dass – um
im Bilde zu bleiben – der Berg zum Propheten kam. Angela Merkel hatte
eigentlich mit ihrer Bundesregierung gerade erst beschlossen, die
Kernenergie als Brücke in das Zeitalter der regenerativen Energien
beizubehalten – freilich ohne die Länge dieser Brücke klar
festzulegen und mit Zusicherungen an die Energiekonzerne, etwaige
Abrissarbeiten an der Brücke finanziell zu entschädigen. Und dann
geschah, was nicht hätte geschehen dürfen: Fukushima. In Anbetracht
dieser Katastrophe war ein Festhalten an der Kernenergie undenkbar.
Dieser Gedanke mag der Kanzlerin ernsthaft gekommen sein; wer böse
ist, kann ihr unterstellen, dass sie aus rein taktischen Überlegungen
zu dieser Einsicht gekommen ist. Die Wahrheit dürfte eine Mischung
aus beidem sein. Fest steht, dass von da an alles richtig gemacht
wurde. Man mag es dieser Koalition nicht abnehmen, dass sie aus
voller Überzeugung vom Atom-Saulus zum Atom-Paulus wurde; man kann
infrage stellen, ob die Ethikkommission, die der Kehrtwende eine
ethische, eine quasi über-politische Dimension geben sollte, eine
reine Alibi-Veranstaltung war. Es liegt nahe, sie als eine
Einrichtung zu sehen, mit der legitimiert werden sollte, was als
gefühlte Grundstimmung im Volk ohnehin bereits seit dem
Atom-Beschluss im Herbst feststand: dass die Atom-Befürworter eine
aussterbende Spezies sind. Aber das Ergebnis ist das, was zählt: Der
„gesellschaftliche Großkonflikt“ um die Kernenergie, wie ihn die SPD
nennt, ist befriedet – und das ist gut so. Wer jetzt um die geistige
Urheberschaft des Atomausstiegs streiten will, soll das tun. Es
bringt nur nichts, weil es jetzt nichts mehr zu streiten gibt an der
Grundrichtung. Deutschland als Wirtschafts- und Technologiestandort
hat die historisch einmalige Chance zu zeigen, wie es ohne
Kernenergie geht. Und dass es geht, haben die vergangenen drei Monate
bewiesen. Wer hätte gedacht, dass wir drei Monate mit acht –
kurzfristig sogar mit 13 – AKW weniger auskommen? Kritiker behaupten,
wir hätten einfach Glück gehabt. Weil die Sonne viel Energie
geliefert habe, was den Ausfall der Atommeiler überbrücken half. Und
dass das Moratorium nicht in energieintensive Zeiten gefallen sei.
Vielleicht sind das berechtigte Einwände, aber wir wären gar nicht
erst in der Lage, Atomstrom zu ersetzen, wenn es nicht bereits seit
dem rot-grünen Atomkonsens den Druck gegeben hätte, in alternative
Energien zu investieren. Dieser Druck war aus dem Kessel gewichen,
als Schwarz-Gelb im Herbst die Verlängerung der Laufzeiten beschloss.
Nun ist er wieder da. Im Interesse der weiteren Forschung und
Entwicklung alternativer Energien ist das nur zu begrüßen. Was nun
noch kommt, ist der Streit um die Kosten. Sicher ist, dass die
Energiekonzerne sich ihre Zustimmung teuer bezahlen lassen werden –
ob über den Klageweg, muss sich noch zeigen. Fakt ist auch, dass wir
alle uns auf steigende Energiekosten einstellen müssen. Aber es ist
auch Fakt, dass wir im Interesse aller handeln. Leben mit der
Kernkraft, heißt leben auf Pump bei den nachfolgenden Generationen.
Japan erlebt, wie hoch der Zins dafür ist. Es wäre gut, wenn uns
diese Belastungen einmal erspart blieben.

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