Mittelbayerische Zeitung: Kommentar/Leitartikel Mittelbayerische Zeitung (Regensburg) von Christian Kucznierz zum „Politischen Aschermittwoch“

Der lange Schatten / Die Causa Guttenberg
dominiert nach wie vor die politische Debatte. Das muss sich ändern.

Von Christian Kucznierz

Der frühlingshafte Sonnenschein der vergangenen Tage täuscht. Über
dem Land liegt immer noch ein langer Schatten: der des
zurückgetretenen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg.
Am deutlichsten hat sich das am gestrigen Politischen Aschermittwoch
gezeigt. Fast hatte es den Anschein, als wäre der einstige
Shootingstar der CSU nicht von allen Ämtern in Berlin zurückgetreten.
Freilich: Die Affäre um Guttenberg ist eine Steilvorlage für die
Oppositionsparteien, gerade an einem Tag wie dem Aschermittwoch, der
in Bayern traditionell für einen verbalen Schlagabtausch genutzt
wird. Steinmeier und Co. hätten ihre Anhänger enttäuscht, hätten sie
die Chance nicht genutzt, den Konservativen die Causa Guttenberg um
die Ohren zu hauen. Dennoch ist es bemerkenswert, wie stark der
Freiherr aus Franken noch immer die politische Debatte dominiert –
und nicht nur die. Um einen langen Schatten zu werfen, sind zwei
Dinge notwendig: ein tiefer Sonnenstand und eine gewisse Grundhöhe
des schattenwerfenden Objekts. An dieser Grundhöhe mangelt es im Fall
Guttenberg nicht. Nach wie vor genießt der zurückgetretene Minister
bei einem Großteil der konservativ-bürgerlichen Wähler
uneingeschränkte Sympathien. Wenngleich die Mehrheit der Befragten
seinen Rücktritt für richtig hält, so wünscht sie sich gleichzeitig
seine Rückkehr auf die politische Bühne. Den größten Applaus bekam
CSU-Chef Horst Seehofer in Passau gestern konsequenter Weise auch,
als es um den gefallenen Polit-Star Guttenberg ging. Dabei fällt aber
auch auf, dass die Figur Guttenberg von seinen Fans überhöht wird –
ebenso wie von seinen Gegnern. In der öffentlichen Debatte gibt es –
vom Ärger an der Zapfsäule derzeit einmal abgesehen – kaum ein
größeres Thema als den Fall Guttenberg. Um im Bild zu bleiben: Es
scheint fast, dass die Sonne ziemlich tief steht, wenn sich der
politische und gesellschaftliche Schlagabtausch nur mehr um eine
Person dreht. Guttenberg ist für die einen fast eine Erlöserfigur,
für die anderen ein Buhmann und der Beleg für die Grundverdorbenheit
der Politik im Allgemeinen und der Union im Speziellen. Beides ist
falsch. Dass Guttenbergs langer Schatten noch immer über der
politischen Landschaft liegt, ist umso bedauerlicher, weil diese
Tatsache zeigt, wie weit sich die Politik selbst entleert hat. Es
geht nicht mehr in erster Linie um Inhalte, sondern um die Person. Im
Hype um den Ex-Minister hat die Personalisierung der deutschen
Politik einen ungeahnten und geradezu beängstigenden Höhepunkt
erreicht. Guttenberg war und ist beliebt, Guttenberg hat Fehler
gemacht, Guttenberg ist gegangen. Punkt. Es ist höchste Zeit, diese
Fakten anzuerkennen und weiterzumachen. Schließlich liegen von
Bundeswehrreform bis Vorratsdatenspeicherung noch immer viele
ungeklärte Sachfragen auf den Schreibtischen der Minister in Berlin.
Neue, alte Konfliktfelder von Integration bis Steuersenkung tun sich
in der Koalition auf. Und noch im laufenden Monat werden drei
Landtage neu gewählt – mit eventuell gravierenden Folgen für die
Machtverhältnisse im Bund. Es ist an der Zeit, die Vergangenheit
ruhen zu lassen und in die Zukunft zu gehen. Legendenbildungen helfen
dabei nicht weiter, ganz im Gegenteil: Sie verselbstständigen sich
und verzerren die Realitäten. Das Schöne an langen Schatten ist, dass
sie vor allem am Ende eines Tages auftreten. Am nächsten Morgen sieht
alles anders aus. Und dann kann neu angefangen werden. Es wäre an der
Zeit dafür.

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de