von Pascal Durain, MZ
Nelson Mandela verstarb im Alter von 95 Jahren an den Folgen einer
Lungenentzündung. Doch er ist nicht tot. Sein Erbe lebt weiter. Und
das muss es auch. Der Abschied von dem Mann, der 27 Jahre lang im
Gefängnis saß, Gewaltverzicht und Gleichheit predigte, ist
Trauerfeier, Mahnung und Ansporn zugleich. Der 10. Dezember 2013, der
internationale Tag der Menschenrechte, brachte Regen nach
Johannesburg. Aber vermutlich war es auch der Tag der fröhlichsten
Trauerfeier der Welt. Das südafrikanische Volk feierte, weil es stolz
ist, eine solche Person hervorgebracht zu haben. Mandela war ein
Mann, der allen lehrte, dass Vergebung über Rache steht. So befreite
Mandela nicht nur die schwarze Mehrheit von den Unterdrückern,
sondern auch die Unterdrücker von der Last des Unrechtsregimes. Tata
– das Wort der Xhosa für Vater – wurde zum Propheten der Humanität.
Während Südafrikas amtierender Präsident Jacob Zuma seinen
Vorvorgänger als Südafrikas „einzigartigen Mann“ bezeichnete, „den
jedermann liebte“, werden Buhrufe im Stadion von Soweto laut. Nicht,
weil die Buhrufer dem nicht zustimmten – sondern weil sie fürchten,
dass Zuma und die ANC-Partei, der auch Mandela angehörte, Südafrika
wieder in eine Krise stürzen könnten. Auch Jahre nach dem Ende des
Apartheidregimes steht das Land vor gewaltigen Herausforderungen.
Immer mehr Jugendliche fordern den Tod der Weißen, ein Viertel der
Bevölkerung ist arbeitslos und dazu klafft im Land ein Graben
zwischen Armen und Superreichen. Korruption regiert das Vorzeige-Land
Afrikas. Dagegen kann nun nur der Mythos Mandela ankämpfen, weil der
mahnende Zeigefinger des Übervaters für immer verschwunden ist. Das
ist die Last, die Mandela hinterlässt: Sein Schatten und der Kult um
ihn sind vielleicht zu groß. Doch auch Mandela, der vom
bombenbastelnden Widerstandskämpfer zum großen Aussöhner wurde, ist
nur ein Mensch gewesen. Ein Mann, der auch in seiner Amtszeit als
Präsident nicht das AIDS-Problem oder die Ernährungskrise lösen
konnte, wie es alle hofften. Nichtsdestotrotz bleibt er eine
Ausnahme. Einer, den man in einer Reihe mit Gandhi oder Martin Luther
King nennen muss. Schon deswegen ist der Abschied von „Madiba“, so
Mandelas Clanname, auch ein Ansporn – nicht nur für den ANC, sondern
auch für jene Staatschefs, die ins Stadion von Soweto kamen: Für den
ersten afroamerikanischen US-Präsidenten Barack Obama, dessen
entfesselte Geheimdienste sich über die Grundrechte von Millionen
Menschen hinwegsetzten und eine diplomatische Krise auslösten. Für
Chinas Vizepräsident Li Yuanchao, dessen Volksrepublik die Rangliste
staatlicher Exekutionen mit großem Abstand anführt. Oder für den
Präsidenten des südafrikanischen Nachbars Mosambik, Armando Emilio
Guebuza, auf dessen Gebiet ein Bürgerkrieg droht. Und auch für
Bundespräsident Joachim Gauck, in dessen Land der Alltagsrassismus
längst nicht überwunden ist und das Menschen, die vor Hunger und
Elend flüchten, lieber abschiebt, als ihnen zu helfen. Diese
Aufzählung ließe sich noch um viele Punkte verlängern – allein das
ist schon bemerkenswert. Hunderte Staatschefs zu versammeln, die sich
zumindest in der Trauer um ihn auf einen gemeinsamen Nenner einigen
konnten, war Mandelas letzter Verdienst. Aber es geht um mehr. Obama
nannte Mandela den letzten großen Befreier. Und es stimmt: Eine
Situation wie in Südafrika gibt es heute nicht mehr. Dafür gibt es
noch viele Konflikte zu befrieden und Menschen zu befreien. Heute um
Mandela trauern und morgen so zu tun, als wäre alles wie immer, würde
ihm nicht gerecht.
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