Mittelbayerische Zeitung: Nehmerländer sind längst gescheitert

Von Christine Schröpf

Wer ständig den Mund spitzt, muss irgendwann pfeifen. Insofern ist
es nur konsequent, dass die schwarz-gelbe Staatsregierung nach langer
Zeit der Ankündigungen und Drohgebärden heute beim
Bundesverfassungsgericht Klage gegen den Länderfinanzausgleich
einreicht. Auch wenn sich die Finanzlast auf juristischem Weg nicht
über Nacht verringern wird und das Zeitfenster, in dem Bayern von
möglichen Korrekturen profitiert, recht klein ist: Das von
Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber verhandelte Vertragswerk läuft
bekanntlich 2019 ohnehin regulär aus und muss dann neu verhandelt
werden. Doch warum die geringste Chance verschenken? Schon eine
kleine Entlastung, wenn nur für ein oder zwei Jahre, könnte dem
Freistaat eine dreistellige Millionensumme in die Kasse spülen.
Selbst der Präsident des Bayerischen Obersten Rechnungshofs, der
Gefälligkeitsadressen an die Seehofer-Regierung gänzlich
unverdächtig, hatte vergangene Woche bei der Präsentation seines
Jahresberichts für 2013 zwar nicht die Klage, aber eine Reform des
Solidarpakts zwischen reichen und armen Bundesländern ausdrücklich
unterstützt. Eine friedliche Einigung wäre tatsächlich die schönste
Lösung gewesen. Sie scheiterte aber am Hinauszögern und Taktieren der
Nehmerländer. Die gänzliche Unlust, den höchst willkommenen
Finanzstrom aus Bayern freiwillig einzudämmen, mag aus deren Sicht
verständlich sein. Doch fair ist dieses Verhalten nicht. Arme
Bundesländer haben das Recht, vom starken Bayern Solidarität zu
erwarten. Wer viel hat, muss natürlich viel geben. Doch wenn mit
Bayern, Baden-Württemberg und Hessen nur mehr drei Länder einzahlen,
aber 13 Länder profitieren, ist die Schieflage nicht
wegzudiskutieren. Der Freistaat stemmt allein die Hälfte der Summe
und überweist ständig neue Rekordbeträge. 2012 wurden 3,9 Milliarden
Euro überwiesen. 2013 waren es schon vier Milliarden Euro, 2014 sind
es dann 4,2 Milliarden Euro. Für die Seehofer-Regierung ist die Klage
nicht allein eine Frage des Prinzips: Der ehrgeizige Plan, Bayern bis
2030 schuldenfrei zu machen, steht und fällt mit geringeren Zahlungen
in den Länderfinanzausgleich. Der Ministerpräsident hofft, dass der
Freistaat über kurz oder lang eine Milliarde pro Jahr weniger
abdrücken muss. Das ist umso wichtiger, da die Dauerbelastungen in
Bayerns Etat steigen – zuletzt durch ein millionenschweres
Bildungspaket – und sprudelnde Steuermehreinnahmen nicht für alle
Zukunft fest einzuplanen sind. Die Klage in Karlsruhe treibt einen
tieferen Keil zwischen arme und reiche Bundesländer. In der
bayerischen Koalition aber entfaltet sie zumindest für den Moment
eine gewisse Bindekraft. Einträchtig wollen Regierungschef Horst
Seehofer, Finanzminister Markus Söder und Wirtschaftsminister Martin
Zeil heute vor laufenden Kameras Vollzug verkünden. So viel
Gleichklang ist sehr selten geworden. CSU und FDP haben sich in fast
fünf Jahren Zusammenarbeit stark entfremdet: Die Konservativen sind
es leid, sich von den Liberalen dreinreden zu lassen. Die FDP fühlt
sich von der CSU an die Wand gedrückt. Offen sagt es keiner. Doch die
Fassade der guten Zusammenarbeit hat tiefe Risse. In Sachen
Länderfinanzausgleich aber wird einmal nicht aufeinander geschossen –
Attacken richten sich gegen die Opposition. Die Klage wird zum
Testfall für bayerischen Patriotismus erklärt. Das ist natürlich
Quatsch. Wer das Verfahren kritisch sieht, ist kein schlechter Bayer.
Der Hauptvorwurf der Opposition zieht allerdings ebenso wenig. Sie
spricht von purem Wahlkampfgetöse. Doch auch wenn sich der
Rechtsstreit um bayerisches Geld im Wahljahr gut verkaufen lässt: Die
Klage ist richtig. Das bleibt so, auch nach dem Wahltag im Herbst.

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