Im Interview mit der Mittelbayerischen Zeitung
spricht die Justizministerin und bayerische FDP-Vorsitzende über die
Pkw-Maut für Ausländer, den Fall Mollath und die NSA-Affäre.
CSU-Chef Seehofer hat angekündigt, keinen Koalitionsvertrag zu
unterschreiben, in dem eine Pkw-Maut für Ausländer nicht enthalten
ist. Würden Sie im Streit um die Maut eine mögliche schwarz-gelbe
Koalition nach der Wahl platzen lassen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Eine Maut, die mit EU-Recht nicht
vereinbar ist, will in der CDU und in der FDP niemand. Eine absolute
Forderung aufzustellen, halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für nicht
angebracht. Über derartige Themen sollte man sich erst unterhalten,
wenn man einen Regierungsauftrag von den Wählern erhalten hat.
Aber es ist unstrittig, dass mehr Geld für Infrastrukturprojekte
benötig wird …
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, wir haben eindeutig
Schwachstellen, die auch durch mangelnde Finanzierung entstanden
sind. Aber wir sollten nicht zuallererst eine Debatte darüber führen,
wie wir die Bürger mehr belasten können. Bei 600 Milliarden Euro
Steuereinnahmen und bei Anzeichen einer positiven
Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone sollten wir lieber darüber
sprechen, wie wir das Geld, das wir haben, sinnvoll verwenden und
nicht über neue Belastungen.
… was nichts anderes heißt wie: Wir brauchen die Maut eigentlich
nicht.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, so ist es.
Nicht nur bei der Maut gibt es unterschiedliche Positionen
zwischen der FDP und der CSU. Wäre Geschlossenheit nicht die bessere
Strategie im Wahlkampf?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben eine gute Bilanz
vorzuweisen in Bayern, vor allem, wenn man daran denkt, wo wir
begonnen haben. 2008 standen wir vor den Scherben des
Landesbank-Desasters. Heute haben wir das Schlimmste hinter uns. Aber
denken Sie, das wäre alleine mit der CSU gegangen? Oder der Ausbau
der Kinderbetreuung? Mit Sicherheit nicht! Das ging nur, weil wir
gemeinsam regiert haben und auch kontroverse Diskussionen führen
mussten. Wir haben in einigen Punkten unterschiedliche Positionen,
aber das muss auch so sein, sonst wären wir ja eine Partei.
Im Fall Mollath wurde heftig über die Unabhängigkeit der Justiz
debattiert. Gab es aus Ihrer Sicht zu viel Einmischung?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Richter sind in ihrer
Entscheidungsfindung unabhängig. Aber sobald die Entscheidung
rechtskräftig geworden ist, kann selbstverständlich diskutiert
werden. Politiker haben ja die Richter nicht aufgefordert, gefälligst
ihr Urteil zu korrigieren. Aber dass Zweifel geäußert werden und man
fragt: Ist es wirklich richtig, jemand sieben Jahre lang in der
Psychiatrie zu lassen oder wo gibt es Wege, es noch einmal zu
überprüfen, das ist in Ordnung.
Das Landgericht Regensburg, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens
gegen Mollath ablehnte , musste heftige Kritik einstecken. Zu Recht?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben in der Justiz mehrere
Instanzenzüge. Ich habe in dieser Legislaturperiode die Einschränkung
von Rechtsmitteln zum Teil rückgängig gemacht, die aus der Zeit der
großen Koalition stammen. Ich fühle mich durch den Fall Mollath
bestätigt. Wenn es um das Einsperren von Menschen geht, dem tiefsten
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, müssen wir ein engmaschiges
Netz von Überprüfungen haben.
Sie weichen aus: Wie beurteilen Sie die Arbeit des Landgerichts
Regensburg?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Arbeit des Landgerichtes bewerte
ich nicht. Ich sage: Es ist gut, dass es den Instanzenweg gibt, der
die Sichtweise und die Bewertung eines anderen Gerichtes bringt. Es
ist gut, dass wir einen Rechtsstaat haben, der diese Möglichkeiten
vorsieht.
Wie urteilen Sie über die Arbeit der bayerischen Justizministerin
Beate Merk?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich verteile keine Noten zu
Landesministern. Ich sage nur: Es ist gut, dass es eine klare
Positionierung der Justizministerin im fortgeschrittenen Stadium
gegeben hat.
Sie haben als Konsequenz aus dem Fall Mollath Eckpunkte für eine
Reform des Unterbringungsrechts vorgelegt, mit frühzeitigen und
deutlich häufigeren Überprüfungen und Kontrollgutachten. Wird sie
Teil eines möglichen Koalitionsvertrages?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja natürlich. Das muss in der
nächsten Legislaturperiode erfolgen. Es gehört möglichst zügig in
einen Koalitionsvertrag. Im Grundanliegen gibt es keine strittigen
Aspekte. Konsens besteht auch mit den Oppositionsfraktionen. Es geht
nur noch um Details.
Gibt es überhaupt genügend qualifizierte Gutachter, um die
geplanten zusätzliche Expertisen in Auftrag zu geben?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir
brauchen mehr Gutachter für Gefährlichkeitsprognosen, das hat bereits
die Neuregelung der Sicherungsverwahrung mit sich gebracht. Natürlich
ist das mit Kosten verwunden. Aber das muss im Rechtsstaat bewältigt
werden.
In ihren Eckpunkten für ein neues Unterbringungsrecht äußern Sie
sich nicht dazu, ob die umstrittenen Gutachten rein nach Aktenlage
weiter möglich sein sollen.
Leutheusser-Schnarrenberger: Darüber werden wir verhandeln. Ich
meine, dass die Entscheidung, einen Menschen einzusperren, nur
gefällt werden kann, wenn der Gutachter selbst mit dem Patienten
gesprochen und sich einen persönlichen Eindruck verschafft hat.
Löst eine Reform des Unterbringungsrechts den Grundkonflikt? Auf
der einen Seite soll niemand leichtfertig in die Psychiatrie
eingewiesen werden, auf der anderen Seite gibt es die Tendenz,
vorsichtshalber auf Nummer Sicher zu gehen, wenn der Verdacht auf
eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht.
Leutheusser-Schnarrenberger: Das Problem ist, dass
Prognoseentscheidungen über die Gefährlichkeit von Menschen zu
treffen sind. Natürlich ist das schwierig. Der Gesetzgeber kann dafür
nur den Rahmen aufstellen. Die absolute Sicherheit gibt es nicht. Wir
müssen Sicherheitsbedürfnisse und Freiheitsrechte sorgfältig
austarieren.
Das gilt auch beim Thema Geheimdienste. Kanzleramtsminister Ronald
Pofalla hat die NSA-Affäre für beendet erklärt. Teilen Sie diese
Einschätzung?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe die Grundhaltung: Vertrauen
ist gut, Kontrolle ist besser. In der NSA-Affäre geht es um eine
stärkere Kontrolle der Geheimdienste und um mehr Transparenz. Herr
Pofalla hat durch seine Aussagen im Parlamentarischen Kontrollgremium
viele Fragen ausgeräumt. Aber wir sind natürlich noch nicht am Ende
der Debatte. Wir sind mitten drin.
Ist das angestrebte Anti-Spionage-Abkommen mit den USA nicht ein
Beleg dafür, dass die Amerikaner uns ausspionieren?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das Abkommen ist der Beleg dafür,
dass es notwendig ist, einige Dinge einmal klar festzuhalten, selbst
wenn sie eigentlich selbstverständlich wären, etwa, dass Freunde sich
nicht ausspionieren sollen. Aber es geht auch auf nationaler und
europäischer Ebene darum, klarere Regeln aufzustellen. In Deutschland
muss das Parlamentarische Kontrollgremium gestärkt werden und in der
EU müssen wir den Druck erhöhen, das gemeinsame Datenschutzabkommen
noch vor Ende der Legislaturperiode im Mai zu verabschieden.
Ist der Datenschutz im Innenministerium richtig angesiedelt?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich hielte es besser, wenn er in den
Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums fiele. Das würde dem
Thema eine andere Ausrichtung geben.
Wie meinen Sie das?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Politik sollte keine Datenberge
anhäufen, wo sie nicht nötig sind. Das gilt bei der
Vorratsdatenspeicherung, die wir ablehnen, ebenso wie bei der Maut,
die wenn dann nicht mit elektronischen Mautstellen geregelt werden
sollte, sondern mit einer Vignette.
Zusammengefasst sagen Sie: Die FDP wird gebraucht als Korrektiv
und als Verfechterin der Bürgerrechte. Wie viel Prozent holt sie
damit?
Leutheusser-Schnarrenberger: Auf Bundesebene acht oder etwas mehr.
In Bayern gehe ich davon aus, dass mindestens sechs Prozent möglich
sind, vielleicht aber auch mehr. Bislang sind 80 Prozent der
potenziellen FDP Wähler unentschlossen. Auf die wollen wir uns in
den kommenden Wochen konzentrieren.
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