Rettungsanker für die Liberalen
Sich strikt auf Joachim Gauck festzulegen war ungemein raffiniert
von der FDP. Schließlich hätte sich der Sinkflug der Liberalen und
ihrer Themen ohne den neuen Mann für das Präsidentenamt ungebremst
fortgesetzt.
Ihr Erfolg liegt deshalb nicht im taktischen Sieg gegen die
Kanzlerin selbst. Die Dimension ist größer. Denn künftig steht ein
Mann an der Spitze des Staates, der zwar von fast allen Parteien und
einer momentanen Mehrheit im Volk getragen wird. Aber viele werden
sich wundern, sofern sie aus Gaucks gängiger Titulierung als
einstiger Bürgerrechtler schließen, dass er übermäßig sozial
engagiert sei.
Lässt man eine Romantisierung des früheren Wirkens beiseite und
blickt auf seine Positionen, ist Gauck nämlich ein konservativ
orientierter Vorzeige-Liberaler. Die persönliche Freiheit ist für ihn
ein zentrales Gut – und sie geht einher mit individueller
Verantwortung. Diese verlangt Gauck ohne jede Sentimentalität von den
Menschen, frei nach dem Motto: Jammere nicht, unternimm etwas.
Insofern ist er durchaus kaltschnäuzig, warnt vor überzogenen
Erwartungen an den Staat ebenso wie vor dessen Einmischung in alle
Lebensbereiche, die andere Fürsorge nennen würden. Zugleich findet er
Sarrazins Mut beispielhaft, Hartz IV in Ordnung (wer es nicht will,
soll sich anstrengen) und die EU viel zu dirigistisch. Ach, und dann
sind da noch die „unsäglich albernen“ Banken-Proteste. Die FDP kann
also zu Recht hoffen, dass der neue Präsident die liberale Sicht
wieder salonfähig macht und vor dem weiteren Verfall bewahrt.
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