Neue OZ: Kommentar zu Libyen / Gaddafi

Stoff für Propaganda

Die Wahrheit ist bekanntlich das erste Opfer eines Krieges.
Zweifel sind daher angebracht, ob Gaddafis Sohn Saif al-Arab
tatsächlich durch Raketenbeschuss der NATO in Tripolis ums Leben kam.
Und mit ihm drei Enkel des Diktators. Was aber, wenn der Angriff
gezielt der Familie und Muammar al-Gaddafi selbst gegolten hat, der
sich ebenfalls in dem Gebäude aufgehalten haben soll?

Im einen wie im anderen Fall hat die NATO mit der Bombardierung
einen großen Fehler begangen. Der Angriff verstößt eklatant gegen die
UN-Resolution 1973, an die sich der britische Premier David Cameron
offenbar nicht mehr erinnern kann: Die NATO darf nur zum Schutz der
Zivilbevölkerung eingreifen. Dieses Postulat lässt sich nicht ohne
Weiteres mit der Zerstörung eines Hauses in einem belebten Viertel in
Tripolis verbinden, auch wenn es sich um eine Kommandozentrale
handelt. Mit anderen Worten: Der Westen nimmt einen zivilen
Kollateralschaden billigend in Kauf.

Eine fatale Entwicklung, zeigt sie doch, dass für die NATO der
humanitäre Anspruch inzwischen zweitrangig ist. Gaddafi kostet seine
Unversehrtheit nun für Propagandazwecke aus. Sein Sohn und drei
unschuldige Kinder werden zu Märtyrern erklärt, deren Tod die
Kampfmoral der Regierungstruppen und die Wut seiner Anhänger anheizen
dürfte. Die Zerstörung der britischen Botschaft in Tripolis ist ein
erster Ausdruck dessen.

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