Neue OZ: Kommentar zu Sicherungsverwahrung

Das Ende der Flickschusterei

Mit diesem erfreulich kompromisslosen Urteil haben selbst Experten
nicht gerechnet. Sechs, setzen, lautet die Botschaft der Karlsruher
Verfassungshüter an den Gesetzgeber. Alle Vorschriften des
Strafgesetzbuches zur Sicherungsverwahrung müssen neu geregelt
werden. Alle.

Die Flickschusterei des vergangenen Jahrzehnts ist krachend
durchgefallen. Es gilt, die missratenen Paragrafen nach einer Dekade
des Aufrüstens auf ein rechtsstaatlich vertretbares Maß zu stutzen.

In Zukunft reicht es nicht mehr, das Schild an der Zellentür nach
verbüßter Haft einfach von Strafe in Sicherungsverwahrung zu ändern.
Wer nach dem Ende seiner Haftzeit gleichwohl zum Schutz der
Allgemeinheit eingeschlossen bleibt, der muss im Gegenzug die Chance
bekommen, mit Therapeuten an sich zu arbeiten. Und ihm sind hinter
Gittern mehr Spielräume zu gewähren als normalen Häftlingen. Nur so
kann er eines Tages vielleicht ohne Risiko für andere wieder in
Freiheit gelangen. Diese Perspektive billigen Grundgesetz und
europäische Menschenrechte selbst dem schlimmsten Verbrecher zu.

Klug ist das Karlsruher Urteil aber auch deshalb, weil es nicht
zulässt, dass Hunderte Sicherungsverwahrte sofort auf freien Fuß
kommen. Zwei Jahre hat der Gesetzgeber Zeit, um eine rechtsstaatlich
saubere Reform vorzulegen. Bis dahin müssen die zuständigen Gerichte
in jedem Einzelfall prüfen, inwieweit eine Freilassung zu
verantworten ist. Damit ist gewährleistet, dass Menschen mit Hang zu
schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten in jedem Fall eingesperrt
bleiben.

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