Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Ermittlungen gegen Christine Lagarde Löchriger Schutzschild PETER HEUSCH, PARIS

In das Visier der Justiz geraten keineswegs nur
Schuldige. Diese Feststellung gilt für die IWF-Chefin Christine
Lagarde ebenso wie für ihren Amtsvorgänger Dominique Strauss-Kahn. Zu
denken geben sollte auch, dass der Strauss-Kahn vorgeworfene
Vergewaltigungsversuch bis dato so unbewiesen ist wie der
Amtsmissbrauch, den man Lagarde ankreiden will. Doch die
Unschuldsvermutung ist ein löchriger Schutzschild. Trotz nicht
erwiesener Vorwürfe droht der frisch eingesetzten IWF-Chefin
Ungemach. Auch Dominique Strauss-Kahns Rücktritt konnte das Gebot der
Unschuldsvermutung nicht verhindern. Viel zu groß waren Aufregung und
Medienwirbel, völlig unhaltbar die Situation einer gewichtigen
internationalen Institution, deren Direktor seinen Aufgaben nicht
mehr nachkommen konnte. Die Frage ist nur, ob die Ermittlungen gegen
Christine Lagarde den IWF in eine ähnlich böse Lage bringen können.
Auf den ersten Blick wohl kaum. Zum einen spielen
Vergewaltigungsversuch und Amtsmissbrauch nicht in derselben Liga. 
Zweitens saß Strauss-Kahn zum Zeitpunkt seines Rücktritts hinter
Gittern, während Lagarde selbst im Falle eines Schuldspruchs keine
Haft droht. Und drittens hindert die offizielle Untersuchung der
Pariser Justiz die IWF-Chefin nicht an der Ausübung ihres Amtes.
Unangenehm, ja hochnotpeinlich kann die Angelegenheit dennoch werden.
Wenn Ermittler die Wohnungen Lagardes durchwühlen oder sie zum Verhör
vorladen, ist der Imageschaden für den IWF wie für seine Direktorin
programmiert. Beides muss nicht passieren, aber beides ist auch nicht
auszuschließen. Da mögen renommierte Rechtsexperten eine
Anklageerhebung oder gar eine Verurteilung für noch so
unwahrscheinlich halten, die Gefahr einer nachhaltigen Beschädigung
Lagardes besteht. 

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