Am Sonntagabend wird der Jahresrückblick des ZDF
gesendet. Thomas Gottschalk moderiert die Sendung und absolviert
damit seinen ersten Show-Auftritt nach dem fürchterlichen Unfall
seines Wettkandidaten Samuel Koch bei „Wetten, dass …?“ am
vergangenen Samstag. Und jeder Zuschauer wird an das Schicksal des
23-Jährigen erinnert, der möglicherweise sein Leben lang gelähmt
bleiben wird. Das Mitgefühl vieler Menschen gilt ihm. Zu Recht. Auch
an Samuels Vater, die tragische Figur des Unglücks, sollten die
Menschen denken. Jahresrückblicke sind Momente des Innehaltens, des
Sicherinnerns. Innehalten und einen Moment nachdenken kann auch in
der Debatte um die Konsequenzen aus dem Unfall nützen. Die ist viel
zu aufgeregt und viel zu betroffen. Und viel zu schnell wird nach
Schuldigen jenseits der direkt Beteiligten gesucht. Noch bevor nach
Verantwortung gefragt wird. Dabei gilt zunächst, dass jeder gesunde
Erwachsene für sich, seine Entscheidungen und sein Verhalten selbst
verantwortlich ist. Niemand hat Samuel Koch gezwungen, mit
Federbeinen an den Füßen über fahrende Autos zu springen. Jedenfalls
ist von solch einem Zwang nichts bekannt. Es war die Entscheidung
eines erwachsenen Mannes, sich diesem Risiko auszusetzen. Leicht
könnte man behaupten, es handele sich um Geltungssucht, der Wunsch,
berühmt zu werden, der in den kommenden Wochen wieder Zigtausende bei
„Deutschland sucht den Superstar“ antreten lässt. Den Bedarf nach
Heldentum gibt es in jedem Zeitalter, freilich in unterschiedlicher
Ausprägung. Es mag aber auch die Lust am Kick gewesen sein, der
Wunsch, an Grenzen zu gehen, sie sogar zu überschreiten und das
vielen Menschen zu zeigen. Freeclimber,
Hochgeschwindigkeitsskifahrer, Bergsteiger und andere, sie alle
kennen diesen Kick. Und vie-le haben dafür teuer bezahlt, so wie
jetzt Samuel Koch – und teurer. Wer jedoch Bücher liest, findet in
der Literatur Beispiele genug, die besagen, dass Wagemut tödlich
enden kann. Das fängt schon bei Ikarus an. Nicht jedes Risiko ist
beherrschbar. Das ist bekannt. Warum sollte Thomas Gottschalk
aufhören, warum „Wetten, dass …?“ deshalb eingestellt werden? Dann
dürfte es auch keinen Skiabfahrtslauf mehr geben und keine Formel 1.
Dort gab es schon Tote. Die Gesellschaft muss die unangenehme Lektion
lernen, dass Tun oder Lassen Folgen haben kann und Verantwortung nach
sich zieht. Üblich ist es, andere für Versagen und Unglück
verantwortlich zu machen. Das ist besonders bequem, wenn es sich um
ein abstraktes Konstrukt handelt. Im Unglücksfall Koch ist es die
Einschaltquote. Bei einem Unfall auf eisglatter Straße wird die Stadt
verantwortlich gemacht (ich bin nicht zu schnell gefahren, die haben
nicht gestreut). Im Beruf wird die Verantwortung für Misserfolg von
einem zum anderen geschoben. Die Freiheit zu entscheiden ist jedoch
nur im Zusammenhang mit Eigenverantwortung zu haben. Auch wenn das
wie bei Samuel Koch bitter sein kann.
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