Neues Deutschland: Versager
Gymnasium

»Aufstieg durch Bildung« – die alte Forderung der
Arbeiterbewegung ist mittlerweile auch eine der Wirtschaft. Die OECD,
also der Zusammenschluss der wichtigsten kapitalistischen
Industrienationen, sagt klipp und klar: Der soziale Aufstieg durch
Bildung ist in Deutschland zu schwer und beeinträchtigt daher die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes. Hinter der Erkenntnis
steckt weniger der Wunsch, mittels Bildung möge soziale
Bildungsgleichheit erreicht werden, als vielmehr ökonomisches Kalkül.
Vereinfacht gesagt: Die Familien des Bildungsbürgertums können die
Nachfrage der Unternehmen, aber auch der Wissenschaft nach
Akademikern nicht mehr befriedigen. Wenn in Deutschland fast 80
Prozent der jungen Menschen bildungsnaher Herkunft ein Studium
beginnen, aber weniger als ein Drittel der Kinder von Eltern mit
Hauptschulabschluss, liegt es nahe, das akademische
Steigerungspotenzial bei letzterer Gruppe zu sehen. Das Versagen des
deutschen Bildungssystems hat einen Namen: Gymnasium! Nur wenige
Arbeiterkinder erwerben die Hochschulreife über den Weg des
Gymnasiums, sondern über das Berufsbildungssystem oder über den
zweiten Bildungsweg, meist in Form einer Fachhochschulreife. 40
Prozent aller Studienberechtigungen werden mittlerweile auf diese Art
vergeben. Das Gymnasium hat als sozialer Türöffner versagt. Es ist
ein systematisches Versagen, denn alle Reformen der vergangenen Jahre
haben eine Schulform stets ausgeklammert: das Gymnasium.

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