Neues Deutschland: zu Plänen von Minister Ramsauer mit dem Marx-Engels-Denkmal in Berlin

Wahrheit siegt nicht, sie formuliert nur um. Von
Zeitenwechsel zu Zeitenwechsel. Das ist das deutsche Perpetuum mobile
der Geschichtsschreibung: Ohne Unterlass und wie von selbst entledigt
sich der öffentliche Raum aller unliebsamen Erinnerungsstützen. Und
unliebsam ist, was vom Widerspruch in den Geschichtsläufen berichtet
und also nicht nur die momentane Herrschaft singt. Daher soll nun
auch den steinernen Zeit-Zeugen Marx und Engels, im Zentrum Berlins,
wieder der Strick des Abtransports um den Hals gelegt werden.
Fortsetzung einer weiteren Unfrieden stiftenden Art Befriedung:
Friede den Palästen, wenn sie keine der Republik sind. Man fahre in
die Schweiz, nach England, Frankreich, besuche die Aufenthaltsorte
von Lenins Emigrationen, schaue sich Simbirsk, seine Geburtsstadt und
Stätten an, die mit seinem Revolutionsfuror verbunden sind: Diesem
wahrlich verhängnisreichen Furor antwortete, da er durch Geschichte
erledigt wurde, keineswegs der Eifer der Spurenvernichtung.
Geschichte, oder was von ihr blieb, darf uns ansehen. Museen,
Requisiten, Tafeln: Erzählung ist deren Auftrag, nicht Strafe,
Verachtung. In Deutschland jedoch hat es seinen unguten Grund, dass
Vergangenheitsbewältigung ein so rüde und rege hergezerrtes Wort ist:
Es wird hier alles, was abgeschafft, überwunden wurde, mit Heißhass
bewältigt, ja überwältigt. Nur nichts Unbegradigtes! Das deutsche
Reinheitsgebot macht geradezu besoffen. Und hinterlässt, wo es
ungehemmt praktizieren darf, leere Köpfe, öde Herzen und ein
volksweit vergiftetes Gedächtnis.

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