Ganz gleich wie der Volksentscheid über „Stuttgart
21″ ausgehen wird, mit dem Namen bleibt ein gesellschaftlicher
Veränderungsprozess verbunden, der für das ganze Land von Wert ist.
Nicht nur im Mittelmeerraum müpfen die Bürger auf, auch im braven
Deutschland wird der Ruf nach direkter Demokratie immer lauter; vor
allem bei folgenreichen Großprojekten. Je näher die unmittelbare
Lebensumgebung betroffen ist, desto engagierter sind die Menschen.
Nicht nur in Stuttgart ist was los. Auch in Duisburg wird wegen Adolf
Sauerland, in Datteln beim Kraftwerkbau und im Wendland sowieso, wenn
schon nicht Revolution, dann aber doch Rabatz gemacht. Der Souverän
ist so frei und wartet nicht brav die nächste Wahl ab, um sich
einzumischen. Internet, Facebook und Twitter helfen lokalen
Initiativen auf die Beine.
Angesichts der vielfältigen Mitteilungs-Möglichkeiten wollen die
Bürger endlich auch gehört werden. Immer weniger Menschen
akzeptieren, dass ihnen Entscheidungen als „alternativlos“, oder
Planfeststellungsverfahren als hohe Kunst der Basisdemokratie
verkauft werden. Die große Politik hat die kleinen Leute vielleicht
zu lange ignoriert. Womöglich läutet „Stuttgart 21“ eine Renaissance
der Kommunalpolitik ein.
Das Lokale kann aus dem Wahrnehmungsschatten Berlins oder
Düsseldorfs treten, wenn man die neuen Formen bürgerlichen
Engagements ernst nimmt. Mit dem Lob der Provinz kann man es in
Baden-Württemberg sogar bis zum Ministerpräsidenten bringen: Winfried
Kretschmann ist im Schützenverein, praktizierender Katholik, spricht
Mundart, und weil das auch gut so ist, stört es die Wähler kaum, dass
er zu den Grünen gehört.
Den Protestlern von Stuttgart kann man für ihre Beharrlichkeit nur
dankbar sein. Kein Wasserwerfer hat sie von ihrer Kritik abhalten
können. Für mich sind sie nicht Wut – sondern Mutbürger.
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