Es gibt, insofern haben der Kölner Kardinal Meisner
und der Chef der Glaubenskongregation im Vatikan, Erzbischof Müller,
recht, eine der katholischen Kirche zunehmend kritisch eingestellte
Öffentlichkeit. Manche Kritik schießt über das Ziel hinaus. Eine
„Katholikenphobie“ oder gar eine „Pogromstimmung“ gibt es aber nicht.
Solche Begriffe sind verfehlt und geschmacklos. Von den konservativen
Lautsprechern der katholischen Kirche ist man derlei gewohnt. Meisner
vergleicht Abtreibung mit dem Holocaust und Atheisten mit
Nationalsozialisten. Müller nennt Reformgruppen innerhalb der Kirche
„parasitäre“ Existenzen. Wer derart mit dem Holzhammer wütet, sollte
Kritik aushalten können, ohne sich gleich in die Opferrolle zu
flüchten. Realität ist: Der Glaube schwindet in den hyperaufgeklärten
und entwerteten westlichen Gesellschaften und mit ihm die Autorität
der Kirche. Aber: Die katholische Kirche hat es nicht deswegen
schwer, weil die Gesellschaft generell kirchenfeindlicher wird. Sie
hat es deswegen schwer, weil sie Meinungen vertritt, die schon lange
aus der Zeit gefallen sind. Oder anders formuliert: Weil sie sich
nicht so geschmeidig an den Zeitgeist anpasst wie die evangelische
Kirche (die ihren Glauben aber auch nicht erfolgreicher verbreitet).
Das muss sie auch nicht. Aber wer aneckt, tut sich und anderen weh.
Die katholische Kirche hat es auch schwer, weil sie nicht auf ihre
eigene Basis hört, die immer und immer wieder vergeblich Reformen
einfordert. Demokratische Gesellschaften haben Probleme mit
zentralistisch und autoritär geführten Organisationen. Das ist auch
gut so. Und die katholische Kirche hat es schwer, weil sie hohe
moralische Ansprüche formuliert und deshalb besonders tief fällt,
wenn sie diesen selbst nicht Genüge tut; das gilt für vertuschte
Missbrauchsfälle genauso wie für die Ablehnung eines
Vergewaltigungsopfers durch Ärzte an katholischen Kliniken. Kirche
kann nur mit und in der Gesellschaft bestehen, nicht gegen sie. Dazu
muss Kirche sich öffnen und Angebote machen, die angenommen werden
können. Darüber sollten Meisner und Müller nachdenken – und sich
nicht in der Schmollecke verziehen.
Pressekontakt:
Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung
Redaktion
Telefon: 0201/8042616