Psychisch kranke Flüchtlinge: Grüne kritisieren unzureichende Versorgung

Die Grünen im Bundestag werfen der Bundesregierung
unterlassene Hilfeleistung bei der psychologischen Betreuung von
Flüchtlingen vor. Die gesundheitspolitische Sprecherin Maria
Klein-Schmeink sagte dem Radiosender NDR Info, die ohnehin langen
Wartezeiten auf eine Psychotherapie, seien für Geflüchtete noch
einmal deutlich länger. „Das ist dramatisch, weil wir wirklich von
unterlassener Hilfeleistung in vielen Situationen reden müssen“, so
Klein-Schmeink auf NDR Info. Dies sei verantwortungslos gegenüber den
einzelnen Menschen, aber auch gegenüber der Gesellschaft. Integration
sei so kaum möglich.

Die Grünen-Politikerin fordert eine schnelle psychologische
Versorgung von Geflüchteten und die flächendeckende Übernahme von
Dolmetscherkosten. Aktuell zahlen die Krankenkassen grundsätzlich
keine Dolmetscher. Diese Kosten müssen privat oder über Spenden
finanziert werden. Allein in Hamburg gibt es dafür einen Fonds, die
Kosten übernimmt die Stadt.

Die Bundesregierung kommt zu einer anderen Bewertung der
Situation. Auf Anfrage von NDR Info schreibt das
Bundesgesundheitsministerium: „Die Bundesregierung sieht es als eine
wichtige Aufgabe an, eine angemessene gesundheitliche Versorgung von
Flüchtlingen sicherzustellen, die infolge ihrer Kriegs- und
Gewalterlebnisse psychisch erkrankt sind. Sie hat daher bereits
wichtige Beiträge zur Verbesserung der Versorgung in diesem Bereich
geleistet.“

Fast drei Jahre nach dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs sind die
Zuständigkeiten für die Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge
bundesweit immer noch nicht einheitlich geregelt. Die Hilfsangebote
sind – abhängig vom Bundesland – unterschiedlich gut ausgebaut. Und
es gibt kaum valide Daten über die Versorgungslage. Das ergab eine
Umfrage des Radiosenders NDR Info unter den 16 Bundesländern und den
vier größten Krankenkassen.

Dabei sehen einige der Befragten die Situation selbst als
besorgniserregend an. So schreibt beispielsweise das
Sozialministerium von Sachsen-Anhalt zur Umfrage von NDR Info: „Aus
unserer Sicht ist die Versorgungssituation nach wie vor unzureichend
und wird sich voraussichtlich noch weiter dramatisieren.“ Der AOK
Bundesverband spricht von einem „Flickenteppich von Zuständigkeiten,
der eine Datenerhebung massiv erschwert.“ Und das Landesamt für
Flüchtlinge in Berlin mahnt, es gebe zu wenige entsprechende
Hilfsangebote in der Hauptstadt. Andere Länder wie beispielsweise
Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen schätzen die Versorgungslage
als angemessen ein.

Die Umfrage von NDR Info ergab, dass kaum Informationen zu der
Thematik erhoben werden. Nur das Bundesland Bayern kann
beispielsweise zu Suiziden und Suizidversuchen von Geflüchteten
umfassende Angaben machen. 2017 gab es hier 290 Suizidversuche und 25
Suizide unter Geflüchteten. Die Mehrheit der Betroffenen stammt aus
Afghanistan. Die Bundesregierung hat über die Zahl der Flüchtlinge,
die in Deutschland eine Psychotherapie beantragen und erhalten,
keinerlei Informationen, wie aus der Antwort auf eine aktuelle
Schriftliche Frage der Grünen hervorgeht, die NDR Info vorliegt. Auch
die Bundesländer und Krankenkassen wissen darüber nur wenig. In
Hamburg ist zumindest bekannt, wie viele Geflüchtete in den ersten 15
Monaten ihres Aufenthalts eine Psychotherapie erhalten. 2017 waren
das knapp 50 Menschen. Sachsen-Anhalt, Bremen sowie Rheinland-Pfalz
können auf die Informationen der psychosozialen Zentren für
Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF-Zentren) zurück greifen. Diese
Zentren gibt es in jedem Bundesland, sie sind meist die ersten
Anlaufstellen für psychisch kranke Geflüchtete. Sie sind finanziell
und personell sehr unterschiedlich ausgestattet. So gibt es in
Rheinland-Pfalz beispielsweise sechs solcher Standorte, die jährlich
insgesamt mehr als 3500 Menschen versorgen können, während es in
Schleswig-Holstein lediglich ein psychosoziales Zentrum für
Flüchtlinge und Folteropfer gibt, das im Jahr knapp 70 Geflüchtete
betreuen kann.

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