Nachdem in Deutschland gegen Kinderlärm nicht mehr
geklagt werden kann, versuchen Nachbarn, Kindertagesstätten mit neuen
legalen Tricks zu verhindern. Darüber berichtet das
ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ heute Abend um 21.45 Uhr im Ersten
und zeigt aktuelle Fälle. Kommunalpolitiker berichten, immer häufiger
richteten sich Klagen gegen den Hol- und Bringverkehr von geplanten
Kindertagesstätten. Politiker von CDU, SPD und Grünen sehen im
Widerstand von Anwohnern eine Gefahr für den geplanten Kita-Ausbau.
Alleine in München gibt es zurzeit acht Kita-Projekte, gegen die
Anwohner klagen. Im Interview mit „Report Mainz“ berichtet die
Münchner Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD): „Gegen Kinderlärm an
sich kann nicht mehr geklagt werden, deswegen ist jetzt der neueste
Trend, dass man gegen die verkehrliche Situation, zum Beispiel den
Verkehrslärm oder den Hol- und Bringverkehr, klagt. Leider auch mit
Erfolgsaussichten.“ Erst vor kurzem sei ein Kita-Projekt in München
gescheitert, weil Anwohner gegen den zusätzlichen Verkehr erfolgreich
klagten.
Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke räumt im
Interview mit „Report Mainz“ ein, dass die Änderung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die Klagen gegen Kitas verhindern
sollte („Kinderlärm-Gesetz“), nur wenig gebracht habe, um
Nachbarschaftsklagen gegen Kindertagesstätten zu verhindern: „Es
werden immer neue Schlupflöcher gefunden, es werden immer neue,
kleinkarierte Bedenken in den Raum gestellt. Das ist eine Katastrophe
für uns alle. Die Politik hat versucht, etwas zu regeln, auch einen
großen Schritt gemacht für die Zukunft von solchen Einrichtungen in
Wohngebieten. Das funktioniert offensichtlich nicht.“
Die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion,
Ekin Deligöz, sagt im Interview mit „Report Mainz“: „Leider ist es
so, dass den Anwohnern immer wieder neue Sachen einfallen. Wenn es
nicht das Bundes-Immissionsschutzrecht ist, ist es das Baugesetzbuch,
wenn es nicht das Baugesetzbuch ist, ist es die Anfahrt der Eltern
oder Denkmalschutzvorrichtungen oder Umbaumaßnahmen in den
Einrichtungen. Es gibt immer wieder Gründe bis hin zum Wertverlust
des Grundstückes, des Wohngebietes, die eingebracht werden, weshalb
Anwohner dagegen klagen. Das ist bedauerlich.“
Auch die familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion,
Caren Marks, beobachtet, dass Anwohner trotz des so genannten
„Kinderlärm-Gesetzes“ neue Wege finden, um Kitas auf dem Klageweg zu
verhindern: „In der Tat, es gibt leider immer mehr Menschen, die
Kinderlachen nicht als Zukunftsmusik empfinden, sondern als störenden
Lärm. Das finde ich sehr bedauerlich. Die Menschen sind
erfindungsreich, wenn sie eine Kita in ihrer Nähe verhindern wollen.
Und wenn man mit dem Immissionsschutzgesetz, was ja geändert wurde,
nicht mehr weiterkommt, dann versucht man eben, eine andere Karte zu
ziehen, und das ist leider ein Trend, Kinder nicht mitten in der
Gesellschaft haben zu wollen.“
Oppositionspolitiker von SPD und Grünen und das Deutsche
Kinderhilfswerk fordern die Bundesregierung angesichts des
gewünschten Kita-Ausbaus auf, im Baurecht so schnell wie möglich für
mehr juristische Klarheit zugunsten von Kitas zu sorgen. Der aktuell
vorliegende Referentenentwurf des Bundesbauministeriums für eine
Novellierung des Baurechts sieht bei der Neuregelung der
Baunutzungsverordnung vor, Kitas künftig generell in reinen
Wohngebieten nur dann zuzulassen, wenn sie den „typischerweise zu
erwartenden Bedarf“ des Wohngebiets „nicht wesentlich“ übersteigen.
Gegen diese Größenbegrenzung laufen jetzt Oppositionspolitiker und
das Deutsche Kinderhilfswerk Sturm, Kritik kommt aber auch aus den
Reihen der CDU. Es wird eine neue Klagewelle gegen Kitas befürchtet.
Grünen-Fraktionsvize Ekin Deligöz sagt im Interview mit „Report
Mainz“: „Im Augenblick tun sich meine Bundestagskollegen der
Koalition sehr schwer damit, klare Regelungen anzubringen. Die
Neuordnung der Baurechtsnovelle hat über zweieinhalb Jahre gebraucht,
bis wir einen Referentenentwurf haben, und selbst in diesem
Referentenentwurf ist die Ansage nicht klar genug, sondern es lässt
Hintertüren offen, was zu neuen Klagewellen führen wird.“ Auch die
familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Caren
Marks, fordert, die Größenbegrenzung für Kitas in reinen Wohngebieten
aufzuheben: „Also ich wünsche mir klipp und klar für den
Referentenentwurf, dass er dahingehend verändert wird, dass Kitas
generell in Wohngebieten zulässig sind ohne jedwede Einschränkung,
weil jede Einschränkung eine Klagewelle provoziert.“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke sieht die
Größenbegrenzung für die Zulässigkeit von Kitas in reinen
Wohngebieten ebenfalls sehr kritisch: „Ich sehe da im
Gesetzgebungsverfahren noch Veränderungsbedarf. Wir müssen hier
liberaler sein und müssen auch Kita-Einrichtungen, die größer sind,
in Wohngebieten zulassen, die vielleicht nicht eine so große
Einrichtung brauchten. Ich glaube, dass die Größenbegrenzung, dass
man nur so viel bauen darf, wie das Umfeld erlaubt und
notwendigerweise braucht, aufgehoben werden soll.“ Der Sprecher des
Deutschen Kinderhilfswerks, Uwe Kamp, erklärt: „Ich befürchte, dass
durch diese unbestimmten Rechtsbegriffe Klagen Tür und Tor geöffnet
werden. Das heißt, dass Anwohnerinnen und Anwohner gegen Kitas klagen
werden, dass Kitas geschlossen werden müssen. Deswegen sagen wir,
Kitas müssen in reine Wohngebiete – ohne Wenn und Aber.“
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